Editorial Richterzeitung April 2019
Am 13. März 1919 wurde in Wien der „Verein deutsch-österreichischer Staatsanwälte“ gegründet, dessen erster Präsident der spätere Generalprokurator und Justizminister HR Dr. Robert Georg WINTERSTEIN wurde. Dieser hatte von Beginn an mit einer für die Staatsanwälte besonders schwierigen politischen Situation zu kämpfen. 1934 kam es zur Einführung neuer verfassungsrechtlicher Bestimmungen und damit zur Schaffung eines Berufsstandes „öffentlicher Dienst“. Richter und Staatsanwälte wurden in der „Kameradschaft Richter und Staatsanwälte“ zusammengefasst und der Verein musste seine Satzung dahingehend einschränken, dass Vereinszweck nur mehr „die Hebung und Förderung der Interessen der Mitglieder in ihrer gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Stellung“ unter Ausschluss der nunmehr dem Berufsstand „öffentlicher Dienst“ vorbehaltenen Obliegenheiten war. Dies war das faktische Ende der freien Standesvertretung.
1938 kam es zur amtlichen Löschung des Vereins im Vereinskataster und zur Eingliederung in den NS-Rechtswahrerbund München. Der 1932 zum Generalprokurator berufene Dr. Robert Georg WINTERSTEIN wurde verhaftet und am 13. April 1940 wegen seines vormals jüdischen Glaubens im Konzentrationslager Buchenwald ermordet. Gerade sein Engagement und sein Idealismus waren von wesentlicher Bedeutung für die weitere Entwicklung der Standesvertretung. Sein Schicksal soll uns daran erinnern, wie schnell demokratische und rechtsstaatliche Grundprinzipien, die wir oft für selbstverständlich halten, verloren gehen können. Auch vermutlich kleine Einschnitte in verfassungsrechtlich garantierte Rechte bergen bereits eine große Gefahr für die Freiheit des einzelnen Bürgers/der einzelnen Bürgerin. Es ist ganz besonders Aufgabe (auch) der staatsanwaltschaftlichen Standesvertretung, auf solche Einschnitte hinzuweisen und sich dafür einzusetzen, dass Eingriffe in die Grundrechte nur als ultima ratio und zur Erreichung eines „höheren Zweckes“ verwendet werden dürfen.
Aus diesem Grund haben wir uns dazu entschlossen, das 100jährige Bestehen der Vereinigung zum Anlass zu nehmen, um mit der posthumen Verleihung des Wolfgang-Swoboda-Preises für Menschlichkeit im Strafverfahren an Dr. Robert Georg WINTERSTEIN seiner Verdienste für den Stand in dieser rechtlich und politisch schwierigen Zeit zu gedenken und uns dadurch auch selbst bewusst zu machen, wie wichtig es ist, dass vor allem die Standesvertretung wachsam bleibt, um bereits erste Einschränkungen am Rechtsstaat und den Grundsätzen der Verfassung mit Nachdruck aufzuzeigen.
100 Jahre Vereinigung österreichischer Staatsanwältinnen und Staatsanwälte haben zahlreiche Errungenschaften für den Stand und die Mitglieder gebracht. Nach Kriegsende gelang es, die Löschung des Verbandes österreichischer Staatsanwälte außer Kraft zu setzen und die Standesarbeit in ihrer ursprünglichen Intention wieder aufzunehmen, wobei der Fokus während der Besatzungsjahre in Anbetracht der drückenden wirtschaftlichen und finanziellen Not auf die Lösung von Gehaltsfragen gerichtet war. Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung und der Weiterentwicklung der 2. Republik kam es auch zu einer Fortentwicklung der Staatsanwaltschaften, die in wesentlichen Bereichen immer wieder auch von der Standesvertretung mitgestaltet wurde. So wurde etwa 1986 das Staatsanwaltschaftsgesetz beschlossen, welches in seiner damaligen und heutigen Form wesentliche Grundlage für die Mitbestimmung der Staatsanwältinnen und Staatsanwälte in der Personalkommission ist.
Ein weiterer Meilenstein war die Reform des strafrechtlichen Vorverfahrens. Dies erforderte parallel auch intensive Verhandlungen im Dienstrecht, welche letztendlich zu einer verfassungsmäßigen Verankerung der Staatsanwaltschaft als Organ der Gerichtsbarkeit in Art 90a B-VG und einem gemeinsamen Dienstrecht mit der Richterschaft führten. 2009 wurde schließlich auch das Disziplinarrecht mit jenem der Richterschaft zusammengeführt.
Diese Arbeit gilt es mit Energie und Kraft fortzuführen. Standesvertretung ist niemals abgeschlossen. Auch in Zukunft ist es wichtig, hartnäckig an der Weiterentwicklung und Absicherung der dritten Staatsgewalt zu arbeiten. Die Standesvertretung darf niemals zum Selbstzweck werden. Sie muss weiterhin aktiv die erforderlichen Voraussetzungen für eine funktionierende Anklagebehörde – losgelöst von einzelnen Befindlichkeiten – einfordern und für die Verbesserung des Systems an sich, aber auch der Arbeitsbedingungen des Einzelnen eintreten. Nur so kann der Beruf des Staatsanwaltes/der Staatsanwältin auch in Zukunft für die Besten attraktiv gehalten werden, wodurch auch eine anhaltende Qualität und Effektivität der Arbeit der Anklagebehörde garantiert wird. Wer aufhört besser zu werden, hört auf, gut zu sein! (Philip Rosenthal).
In diesem Sinne: Auf die nächsten 100 Jahre!
Cornelia Koller