Geschichte

Wie kam es überhaupt zur Gründung der Vereinigung Österreichischer Staatsanwältinnen und Staatsanwälte? Was passierte mit der Vereinigung während Österreichs turbulenter Geschichte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts? Wie entstand das Staatsanwaltschaftsgesetz 1986 und wie haben sich seither die Aufgaben der Staatsanwaltschaft geändert?

Monarchie

1848 – 1850 Mit der Verordnung des Ministerrates vom 18. Mai 1848 wurden in Pressesachen erstmals Staatsanwälte als öffentliche Ankläger installiert. Im allgemeinen Strafverfahren sah erstmals die Strafprozessordnung vom 17.1.1850 Staatsanwälte vor. Die Einführung des Anklageprinzips und die Abkehr von der unerträglichen inquisitorischen Geheimjustitz waren der erste Schritt zu einem „fair trial“. Mit der kaiserlichen Entschließung vom 14. Juni 1849 wurden Grundsätze der neuen Justizverfassung festgelegt, die vorsahen, „dass ein besonderes Gesetz die Einrichtung und den Wirkungskreis der Staatsanwaltschaft regeln“ werde.

1850 Diese Regelung kam in Gestalt des „provisorischen Organischen Gesetzes über die Staatsanwaltschaften“ vom 10. Juli 1850 zu Stande. Im Zuge der Wiedererstarkung des Absolutismus bereits vier Jahre später wurde es wieder beseitigt.

1907 Sowohl Vertreter der Richter als auch der Staatsanwälte gründeten 1907 die „Vereinigung österreichischer Richter“. Wichtiger Gründungsväter aus Sicht der Staatsanwälte waren Karl Hermann Mayer und Robert Georg Winterstein. In den darauf folgenden Jahren kam immer wieder die Forderung auf, die Staatsanwälte in einer eigenen Vereinigung zu konzentrieren.

Von der Zwischenkriegszeit bis zum II. Weltkrieg

1919 Nach dem Ersten Weltkrieg, unter Führung von Staatsanwalt Dr. Winterstein, kam es in der Sitzung des Zentralausschusses vom 13. März 1919 zum Austritt der Staatsanwälte aus der Richtervereinigung. Noch im selben Monat wurde als erste selbständige Standesorganisation der Staatsanwälte, der „Verein deutschösterreichischer Staatsanwälte“, in Wien gegründet.

1934 Der Ständestaat zeigt erste Auswüchse: Aufgrund verfassungsrechtlicher Bestimmungen zur Schaffung des Berufsstandes „Öffentlicher Dienst“ erfolgt 1934 ein Zusammenschluss der Richter und Staatsanwälte in der so genannten „Kameradschaft der Richter und Staatsanwälte“. Dies bedeutete das Ende einer freien Standesvertretung. Bestrebungen zur Fusionierung des (damals so lautenden) Verbandes österreichischer Staatsanwälte mit der Vereinigung der österreichischen Richter blieben erfolglos.

1938 Auf Antrag des Polizeipräsidenten von Wien erfolgte am 26. August 1938 die Löschung des Verbandes österreichischer Staatsanwälte im Vereinkataster. Der Verband sollte in den NS-Rechtswahrerbund München eingegliedert werden. Den Generalprokurator Dr. Winterstein hatten die Nazis bereits am 15. März 1938 verhaftet. Zwei Jahre später wurde er im KZ Buchenwald von einem SS-Offizier ermordet.

1945 Nach Kriegsende war es zunächst nicht einfach, die Löschung des Verbandes österreichischer Staatsanwälte außer Kraft zu setzen. In den ersten Nachkriegsjahren war auch die Tätigkeit der Standesvertreter der Staatsanwälte von vielen Schwierigkeiten wirtschaftlicher Natur begleitet.

Seit dem II. Weltkrieg

1957 Die Vereinszwecke lesen sich wie folgt:

Hebung und Förderung der Rechtspflege im demokratischen Rechtsstaat, die Unterstützung und die Vertretung der ideellen und materiellen Interessen des Standes der Staatsanwälte, die soziale Fürsorge und Wohlfahrtspflege in Ansehung der einzelnen ordentlichen Mitglieder und ihrer Angehörigen, die Vorsorge für die Heranbildung des staatsanwaltschaftlichen Nachwuchses, sowie die Fortbildung der Staatsanwälte.

1961 Nach langen und zähen Verhandlungen gelang eine bescheidene Erhöhung der Gehälter und Nebengebühren, eine Vermehrung der Dienstposten (heute Planstellen) und eine Verbesserung der Beförderungsrichtlinien für Staatsanwälte.

1980 Anfang 1980 wurde im Bundesministerium für Justiz ein Arbeitskreis eingereicht, der das Staatsanwaltschaftsgesetz (StAG) vorbereiten sollte. Hier forderte die Vereinigung vor allem, dass Staatsanwälte offiziell als „Organe der Rechtspflege“ anerkannt werden sollten. Weiters bemühten sie sich, das Weisungsrecht des Justizministers neu zu regeln. Größere Transparenz und Verbesserung der Rechtsstellung des einzelnen Staatsanwaltes sollten gewährleistet werden.

1986 Das Bundesgesetz über die staatsanwaltschaftlichen Behörden, kurz Staatsanwaltschaftsgesetz, wird beschlossen. Das Gesetz brachte zwar wesentliche Fortschritte vor allem klare gesetzliche Regelungen über die Ausübung des Weisungsrechtes, sollte aber erklärtermaßen nur einen ersten Schritt und einen ausbaufähigen Kompromiss darstellen.

1987 Die bisher dem Gericht vorbehaltene Verfahrenseinstellung wegen mangelnder Strafwürdigkeit der Tat (§ 42 StGB) kommt in die Kompetenz der Staatsanwälte.

1988 Das Jugendgerichtsgesetz sieht Möglichkeiten des Verfolgungsverzichtes durch die Staatsanwaltschaft vor.

1993 Reform des Haftrechtes. Die Untersuchungshaft darf vom Richter nur mehr über Antrag des Staatsanwaltes verhängt werden.

1997 Das Suchtmittelgesetz sieht eine vorläufige Zurücklegung der Anzeige durch den Staatsanwalt vor („Helfen statt Strafe“).

2000 Einführung der „Diversion“. Der Staatsanwalt kann statt Anklage zu erheben ein breites Spektrum außergerichtlicher Maßnahmen anwenden (Verhängung eines „Bußgeldes“, Tatausgleich, Einstellung des Verfahrens auf Probe, Anordnung der Bewährungshilfe ) und übernimmt damit neuerlich richterliche Aufgaben.

2008 Inkrafttreten des Strafprozessreformgesetzes. Der Staatsanwaltschaft wird die Leitung des Ermittlungsverfahrens übertragen. Die verfassungsrechtliche Stellung der Staatsanwältinnen und Staatsanwälte als Organe der Gerichtsbarkeit wird in Art. 90a B-VG festgeschrieben.

Literaturhinweise:

Strasser, Gottfried: Standesvertretung und Standespolitik. In: Pilgermair (Hg.), Staatsanwaltschaft im 21. Jahrhundert. Aufgaben – Positionen – Perspektiven, Wien, Verlag Österreich, 2001. S385 – 403

Müller, Otto F.: Die Standesorganisation der Staatsanwälte. In:Liebscher/Müller (Hg.), Hundert Jahre österreichische Strafprozessordnung 1873 – 1973, Wien, Springer-Verlag, 1973