Editorial Richterzeitung April 2018
Nach 20 Jahren in der Standesvertretung und fast zehnjähriger Präsidentschaft verlässt mit Gerhard Jarosch nach Werner Zinkl eine weitere institutionalisierte Größe die standespolitische Bühne und ich bin stolz und dankbar, in den letzten neun Jahren in der Standesvertretung Seite an Seite mit ihm für die Interessen und Belange des Standes verhandelt und gekämpft zu haben. Lieber Gerhard, wir wünschen dir auf diesem Weg alles Gute für deine Zukunft in Den Haag und freuen uns über deine Zusicherung, dass du uns auch weiterhin im Bedarfsfall mit deinem Wissen und deiner Erfahrung zur Seite stehst. Ich habe vom Besten gelernt und hoffe, dieses Wissen nun mit dem am 7. März 2018 neu gewählten Präsidium adäquat umsetzen zu können.
Gerade in diesen spannenden Zeiten der Regierungsumbildung und einer neuen Ressortspitze ist es wichtig, dass die Standesvertretungen geschlossen Präsenz zeigen, um zu gewährleisten, dass die Arbeitsbedingungen und auch das Arbeitsumfeld der Kolleginnen und Kollegen nicht weiter beschnitten werden.
Die neue Regierung wirbt mit der Umsetzung ihres umfassenden „Sicherheitspaketes“, wobei es durchaus irritierend ist, dass die Justiz in diesem Paket nicht vorkommt. Die darin avisierte Aufstockung der polizeilichen Personaldecke ist sehr zu begrüßen
und dringend erforderlich. Wir sehen in der täglichen Arbeit, dass auch dort bereits das Ende der Fahnenstange erreicht ist und eine qualitätsvolle und rasche Ermittlungsarbeit nur mehr durch personelle und auch budgetäre Aufstockungen ermöglicht werden kann.
Es ist ein zwingender Schluss, dass durch diese Aufstockung auch mehr Arbeit auf die Staatsanwältinnen und Staatsanwälte zukommen wird. Ein Mehr an Polizistinnen und Polizisten bedeutet ein Mehr an Anzeigen. In vielen Kriminalitätsbereichen – wie etwa der Suchtgift- oder auch der Internetkriminalität – wird das wahre Ausmaß erst bekannt, wenn man genauer hinsieht. Wenn man also hier Schwerpunkte setzen möchte – was wünschenswert und erforderlich ist – bedarf es unweigerlich auch einer entsprechenden personellen und budgetären Aufstockung im justiziellen Bereich. Die Justiz darf im Bereich der Sicherheit nicht zum „Flaschenhals“ werden.
Die Aufklärung und Aufarbeitung von Straftaten endet nicht mit der Ermittlungstätigkeit der Sicherheitsbehörden. Eine reine Verstärkung der Polizeikräfte übersieht, dass die Anordnung von Festnahmen, die Überprüfung der rechtlichen Rahmenbedingungen und letztendlich die Anklageerhebung nicht von den Sicherheitsbehörden, sondern – wie im Sinne der Gewaltenteilung schon verfassungsrechtlich zwingend vorgesehen – nur von den hiezu legitimierten und ausgebildeten StaatsanwältInnen vorgenommen werden kann und darf. Stehen diesen zu erwartenden
vermehrten Anklagen sodann nicht auch ausreichend gut ausgebildete und erfahrene StrafrichterInnen gegenüber, ist es geradezu erwartbar, dass es zu längeren Verfahrensdauern kommen wird.
Nimmt man das Regierungsprogramm ernst, ist es eine konkrete Zielsetzung verfahrensbeschleunigende Maßnahmen setzen zu wollen. Sicherheit endet aber nicht mit einer erhöhten Polizeipräsenz auf der Straße, sondern bedarf eines wirksamen Rechtssystems, dessen wesentliche Aufgabe ist, eine entsprechende general- und spezialpräventive Wirkung zu erzielen, um
die Gesellschaft vor weiteren Straftaten zu schützen. Dieser Effekt kann auch nicht durch die angekündigte Verschärfung der Strafrahmen substituiert werden.
Will man aus der Arbeit der Strafverfolgungsbehörden eine starke general- und spezialpräventive Wirkung in der Gesellschaft erzielen, bedarf es einer hohen Aufklärungsquote und rascher Ermittlungsergebnisse. Nur die hohe Wahrscheinlichkeit, bei einer Straftat innerhalb kurzer Zeit erwischt zu werden, schreckt von der Begehung derartiger Taten ab. Eine hohe Aufklä-
rungsquote hängt natürlich in erster Linie mit den Kapazitäten und dem Agieren der Sicherheitswachkörper zusammen. Ohne entsprechende Anordnungen durch die Staatsanwaltschaften können aber keine Telefone von Suchtgifthändlern überwacht oder etwa Geldströme in Zusammenhang mit dem Verdacht von Internetbetrügerei oder Geldwäscherei verfolgt werden. Sind
die hiefür erforderlichen Kapazitäten nicht vorhanden, können Strafverfahren nicht in angemessener Zeit erledigt werden und die präventive Wirkung der Arbeit der Strafverfolgungsbehörden
geht verloren.
Noch deutlicher ist die Rolle der Justiz in Zusammenhang mit den geforderten und notwendigen raschen Sanktionen. Straftaten können und dürfen – im Sinne der Gewaltenteilung – nur von der Justiz sanktioniert werden. Verfahrensbeschleunigung ist wichtig und hat – gerade in Haftsachen – oberste Priorität. Verfahrensbeschleunigung kann aber nur mit der für die Bewältigung
des Arbeitsanfalles erforderlichen Personalreserve und Infrastruktur gewährleistet werden.
Wenn also hier ein Sicherheitspaket geschnürt werden soll, welches die Justiz völlig außer Acht lässt, ist dieses unvollständig und kann somit nicht effektiv sein. Möchte die Bundesregierung tatsächlich für die Bevölkerung die Sicherheit im Land verbessern, kann dies nur durch eine entsprechende Dotierung im gesamten Bereich der Kriminalitätsbekämpfung wirksam erfolgen – und dazu gehört zu einem wesentlichen Anteil auch die Justiz!
Justiz ist kein Selbstzweck, sondern ein wichtiger Teil der Gesellschaft. Sie leistet einen wesentlichen Beitrag am Funktionieren unserer Gesellschaft und muss daher zukunftsfit sein. Nur wenn ein reibungsloses Funktionieren der Justiz gewährleistet ist, bleibt auch der soziale Frieden einer Gesellschaft gesichert. Politik, die sich am Staatswohl und am Wohl der Bevölkerung orientiert, ist daher verpflichtet, die dritte Staatsgewalt sowohl rechtlich als auch budgetär abzusichern, um ihren Fortbestand und auch ihre Fortentwicklung zu gewährleisten.
Cornelia Koller