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Editorial Richterzeitung Juni 2022 – Staatsanwälte:Staatsanwältinnen außer Kontrolle?

Staatsanwälte:Staatsanwältinnen außer Kontrolle?

 

Dieser Titel (im maskulinen Singular formuliert und ohne Fragezeichen) zierte kürzlich einen Kommentar des Chefredakteurs einer Wiener Wochenzeitung und war – wieder einmal – Anlass für die Standesvertretung, das direkte Gespräch mit einem Journalisten zu suchen. Der Beitrag übte Kritik am staatsanwaltschaftlichen Vorgehen im Zusammenhang mit einem Terrorismusverfahren, dazu gesellte sich ein Foto des zuständigen Kollegen im Talar mit der Unterschrift „‘Aberwitzige‘ Ermittlungsanordnung“ sowie Nennung seines vollen Namens – zweifelsfrei eine Situation, in der sich kein:e Staatsanwalt:Staatsanwältin gerne wiederfindet. Doch wie soll die Justiz mit derartigen Berichten über ihre Mitarbeiter:innen umgehen?

Empörung und reflexartige, pauschale Zurückweisung greifen in solchen Fällen zu kurz. Es gilt zu differenzieren: wird sachliche Kritik an der Arbeit staatlicher Behörden geübt, ist diese ernst zu nehmen. Wie heißt es so schön? Wo gehobelt wird, fallen Späne; und gerade bei den Staatsanwaltschaften wird derzeit sehr viel gehobelt. Stellt sich – wenn auch erst bei nachträglicher Betrachtung – heraus, dass die Ermittlungsarbeit trotz (teilweise mehrstufiger) Fachaufsicht verbesserungswürdig ist, sollte ein professionelles Fehlermanagement Ursachenforschung betreiben und dafür Sorge tragen, dass vergleichbare Fehler nicht noch einmal passieren. Es geht nicht darum, den:die Einzelne:n, der:die die Verantwortung selten alleine trägt, an den Pranger zu stellen, sondern darum, das System besser zu machen.

Ist es jedoch angebracht, einzelne Staatsanwälte:Staatsanwältinnen oder auch Richter:innen deswegen vor den Vorhang bzw. „aus der Robe“ zu holen und unter Preisgabe ihrer Identität in ein ganz bestimmtes Licht zu rücken? Worin ist das öffentliche Interesse an der konkreten Person begründet? Selbst wenn man ein solches bejaht: wiegt es tatsächlich schwerer als die Persönlichkeitsrechte des:der Einzelnen?

Den Medien kommt eine wichtige Kontrollfunktion zu. Kritischer Journalismus ist unerlässlich für eine saubere Vollziehung aller staatlichen Aufgaben. Sein Ziel sollte jedoch grundsätzlich nicht das einzelne Organ, sondern das System, das für ein einwandfreies Funktionieren der Aufgabenerfüllung Sorge zu tragen hat, sein. Bevor im Ausnahmefall die Person hinter dem Amt in die mediale Auslage gestellt wird, ist eine strenge Interessenabwägung vorzunehmen. Die ungewollte Öffentlichkeit belastet schließlich nicht nur die Betroffenen. Sie wirkt abschreckend für all jene, die für so wichtige Aufgaben wie etwa die Verfolgung von Terrorismus- oder Korruptionsdelikten gewonnen werden sollen. Schon jetzt ist die Rekrutierung in diesen exponierten Tätigkeitsfeldern eine große Herausforderung.

Der eingangs genannte Beitrag ist nur ein Beispiel von vielen für die zunehmende Personalisierung in der medialen Berichterstattung über die Tätigkeit der Strafjustiz. Im konkreten Fall entspann sich die Diskussion mit dem Chefredakteur letztlich an der Frage, ob der namentlich genannte Staatsanwalt als „Person der Zeitgeschichte“ anzusehen und die identifizierende Darstellung daher gerechtfertigt ist oder nicht – sicherlich ein Grenzfall, über den sich streiten lässt. Eines steht aber fest: wie auch hier sind es so gut wie nie die Staatsanwälte:Staatsanwältinnen bzw. Richter:innen, die das Rampenlicht suchen. Sie sollten daher auch nicht gegen ihren Willen zu Personen des öffentlichen Lebens werden.

Manch anderes (Online-)Medium hat keinerlei Hemmungen, die Grenzen des Zulässigen eindeutig zu überschreiten. So kam es zuletzt zu einer regelrechten Kampagne gegen einzelne Staatsanwälte:Staatsanwältinnen, die ihren Höhepunkt in der Unterstellung politischer Motive und der Veröffentlichung von Details aus ihrem Privatleben fand. Verschärft wird die Situation durch eine teils sehr aufgeheizte Stimmung in den sozialen Medien, die in persönlichen Angriffen gipfeln kann.

Den Dienstgeber trifft eine Fürsorgepflicht für seine Mitarbeiter:innen. Dazu gehört auch, den von solchen Angriffen Betroffenen, die sich medial nicht zur Wehr setzen können, zur Seite zu stehen, die Medien zu sensibilisieren und erforderlichenfalls auch die gebotenen rechtlichen Schritte zu ergreifen.

Mit dem „Hass im Netz – Gesetz“ wurde in § 22 Abs 2 ABGB ein eigenständiger Anspruch des Dienstgebers auf Unterlassung und Beseitigung geschaffen, wenn in einem Medium im Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit nicht nur Persönlichkeitsrechte der Arbeitnehmer:innen, sondern auch Dienstgeberinteressen verletzt werden. Darüber hinaus berechtigt § 33a MedienG den Dienstgeber, im Falle einer Ehrenbeleidigung oder Verleumdung eines:einer Dienstnehmers:Dienstnehmerin in einem Medium einen Einziehungs- bzw. Löschungsantrag zu stellen. Es muss im Interesse des Dienstgebers liegen, derartigen Eingriffen in Persönlichkeitsrechte seiner Mitarbeiter:innen entschlossen entgegenzutreten. Für mehr Transparenz und einen besseren Überblick über die rechtlichen Möglichkeiten soll ein dieser Tage auf Andringen der Standesvertretung veröffentlichtes Informationsschreiben des BMJ sorgen.

Der regelmäßig an die (zwangsläufig politisch punzierte) Justizministerin gerichtete Appell, sich schützend vor die Justiz zu stellen, verfehlt das Ziel. Mitunter wirkt er sogar kontraproduktiv, indem er die Staatsanwaltschaften und Gerichte verstärkt in die politische Auseinandersetzung treibt. Die Justiz darf und soll sich selbst – auf allen Ebenen – gegen ungerechtfertigte Angriffe wehren. Von der Ressortspitze dürfen wir allerdings den nötigen Rückhalt für die dafür erforderlichen Schritte und eine aktive Medienarbeit erwarten.

Zurück zum Ausgangspunkt: Können Staatsanwälte:Staatsanwältinnen überhaupt außer Kontrolle geraten? Das scheint angesichts des bestehenden, äußerst umfangreichen Kontrollsystems schwer vorstellbar. Neben der fachlichen Überprüfung im Vorfeld von Entscheidungen (Fachaufsicht durch Revision, in clamorosen Fällen auch Behördenleitung, OStA, BMJ, Weisungsrat, FBM), an der fallweise bis zu zwölf Juristen:Juristinnen mitwirken, wachen die unabhängigen Gerichte bereits im Ermittlungsverfahren und erst recht im Falle einer Anklage über die Rechtmäßigkeit des Vorgehens der Staatsanwaltschaften. Darüber hinaus bietet § 37 StAG die Möglichkeit, das Handeln der einzelnen Organe im Wege der Dienstaufsicht überprüfen zu lassen. Weitere spezielle Kontrollrechte kommen dem Rechnungshof und der Volksanwaltschaft zu.

Die Staatsanwaltschaften sind in ein gut austariertes System von checks and balances eingebettet. Aktuell wird unter intensiver Mitwirkung der Standesvertretungen an mehreren Punkten gearbeitet, um dieses System weiter zu verbessern und gegen allfällige unsachliche Einflüsse zu immunisieren. Die staatsanwaltschaftlichen Personalkommissionen sollen in Personalsenate nach richterlichem Vorbild mit einer Mehrheit an gewählten Mitgliedern umgestaltet werden. Eine unabhängige Weisungsspitze soll die Gefahr politischer Einflussnahme bzw. auch nur deren Anschein minimieren. Die StAV bekennt sich zum System der Fachaufsicht und Weisungshierachie. Die externe Kontrolle der Arbeit der Staatsanwaltschaften soll jedoch durch die unabhängigen Gerichte und nicht durch die Politik erfolgen.

Das beste System ist allerdings nur so gut, wie die Art und Weise wie es mit Leben gefüllt wird. Die wichtigste Kontrolle ist die Selbstkontrolle. Es braucht einen aktiv gelebten Wertekodex und ein ständig präsentes Bewusstsein für die große Verantwortung, die mit den übertragenen Aufgaben verbunden ist. Von der Prüfung eines Anfangsverdachts, über jede einzelne Ermittlungsanordnung bis zur Anklageerhebung bzw. Einstellung des Verfahrens: jede Entscheidung der Staatsanwaltschaft ist eine sorgsam zu treffende Interessenabwägung zwischen dem Erfordernis, potentiell strafbares Verhalten aufzuklären, und den Grundrechten der Betroffenen, in die dadurch regelmäßig eingegriffen wird. Die Staatsanwaltschaft darf sich weder dem Vorwurf aussetzen, einem Verdacht nicht ausreichend nachgegangen zu sein, noch unverhältnismäßig über das Ziel hinausgeschossen zu haben. Eine der größten Herausforderungen dabei ist es, komplexe Ermittlungsverfahren in einer für die Beschuldigten erträglichen Dauer abzuschließen. Wenn es gelingt, diesem Anspruch gerecht zu werden, besteht kein Anlass für einen Ruf nach mehr Kontrolle.

 

Bernd Ziska

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