Zu dem am 24. Oktober 2024 eingebrachten Initiativantrag betreffend ein Bundesgesetz, mit dem die Strafprozeßordnung 1975, das Staatsanwaltschaftsgesetz, das Gerichtsorganisationsgesetz, das Finanzstrafgesetz, das Justizbetreuungsagentur-Gesetz und das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 geändert werden (Strafprozessrechtsänderungsgesetz 2024) halten die staatsanwaltschaftlichen und richterlichen Standesvertretungen wie folgt fest:
Die vorgeschlagene Regelung des Sicherstellungsverfahrens hätte zur Folge, dass weite Kriminalitätsbereiche nicht mehr wirksam ermittelt werden könnten. Durch die vorgesehene Einschränkung der Beschlagnahme von Datenträgern auf Vorsatzdelikte, die mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe bedroht sind, könnten (Kommunikations-)Daten etwa in Fällen von gefährlicher Drohung, beharrlicher Verfolgung („Stalking“), unerlaubter Bildaufnahme („Upskirting“), fortdauernder Belästigung im Wege einer Telekommunikation oder eines Computersystems („Cybermobbing“), Betrug oder der Anbahnung von Sexualkontakten zu Unmündigen („Grooming“) nicht mehr für die Klärung des Sachverhaltes herangezogen werden.
Da auch Fahrlässigkeitsdelikte aus dem Anwendungsbereich ausgenommen werden sollen, könnten Datenträger bei Verdacht (grob) fahrlässigen Handels etwa bei Delikten gegen Leib und Leben, fremdes Vermögen oder die Umwelt trotz teils hoher Strafdrohungen nicht mehr sichergestellt und ausgewertet werden. So wären Daten etwa beim Verdacht der grob fahrlässigen Beeinträchtigung von Gläubigerinteressen, der fahrlässigen Gemeingefährdung oder der (grob) fahrlässigen Tötung keiner Auswertung zugänglich. Besonders drastisch führt die Auswirkungen folgendes Beispiel vor Augen: Verursacht ein Lenker auf der Autobahn (grob) fahrlässig eine Massenkarambolage mit mehreren Toten, wäre es der vorgeschlagenen Regelung zufolge nicht mehr möglich, durch eine Sicherstellung des Mobiltelefons des Lenkers zu überprüfen, ob er während der Fahrt eine Nachricht am Mobiltelefon geschrieben hat und dadurch abgelenkt war.
Weiters hätte die vorgesehene Datenaufbereitung durch „das ausschließlich für die forensische Aufbereitung von Datenträgern und Daten zuständige Gericht“ große Verzögerungen zur Folge. Derzeit werden in über 90% der Fälle die Datensicherung und Datenaufbereitung von der Kriminalpolizei vorgenommen. Bei der (Kriminal-)Polizei sind dafür sowohl das erforderliche Personal, als auch die notwendigen räumlichen und technischen Ressourcen vorhanden. Dem gegenüber sind im IT-Forensikzentrum der Justiz bundesweit für sämtliche Gerichte und Staatsanwaltschaften lediglich 16 Mitarbeiter:innen tätig. Über weiteres Personal, das über das notwenige Know-how verfügt, um Daten fachgerecht zu sichern, aufzubereiten und zu verwahren, verfügt die Justiz nicht.
Auch die erforderliche Planstellenaufstockung im richterlichen Bereich, die für eine flächendeckende Datenaufbereitung notwendig ist, wäre zeitnah nicht zu bewerkstelligen. Aufgrund der steigenden Fallzahlen sind die Gerichte bereits jetzt massiv überbelastet. Die Übertragung derart umfangreicher zusätzlicher Aufgaben würde einen massiven personellen Mehrbedarf bedeuten, der aufgrund der Ausbildungszeit von vier Jahren nicht zeitnah abgedeckt werden könnte. Abgesehen davon müssten die Gerichte erst mit dem erforderlichen technischen Equipment ausgestattet werden und die dafür und die Datenlagerung notwendigen Räumlichkeiten angeschafft oder angemietet werden.
Da die vorgeschlagene Regelung überdies eine Rückwirkung auf bereits laufende Verfahren vorsieht (§ 516 StPO), wären die Gerichte ab Inkrafttreten der Regelung wohl mit einer regelrechten Antragsflut konfrontiert. In allen derzeit bei den Staatsanwaltschaften anhängigen Verfahren, in denen Datenträger zum Zwecke der Auswertung sichergestellt wurden, müsste dem Entwurf zufolge nachträglich eine Beschlagnahme durch das Gericht beantragt werden, um – so der Entwurf weiter – eine „unzulässige Vorratsdatenspeicherung durch Staatsanwaltschaft und Kriminalpolizei zu unterbinden“[1]. Unklar bleiben in diesem Zusammenhang die Auswirkungen auf laufende Verfahren, die wegen Delikten geführt werden, die bloß mit einer ein Jahr nicht übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht sind, oder Fahrlässigkeitsdelikte betreffen. In diesen Verfahren sollen nach dem Entwurf keine Beschlagnahmen von Datenträgern zulässig sein, womit sich die Frage stellt, ob all diese Verfahren – selbst bei Vorliegen massiv belastender „Daten-Beweismittel“ – einzustellen sind.
Eine lückenlose und rasche Datenaufbereitung wäre mangels Vorhandenseins der erforderlichen Ressourcen in der Justiz nicht möglich und es ist daher zu erwarten, dass die Dauer der Ermittlungsverfahren dementsprechend massiv zunehmen würde.
Aus diesem Grund ergeht der dringende Appell der staatsanwaltschaftlichen und richterlichen Standesvertretungen, von der Beschlussfassung über den vorliegenden Entwurf Abstand zu nehmen. Die Neuregelung des Sicherstellungsverfahrens möge zeitnah aber dennoch eingehend erörtert werden, um zu einer Regelung zu gelangen, die den Erfordernissen des Verfassungsgerichtshofes Rechnung trägt und eine effektive Strafverfolgung, für die auch die erforderlichen personellen und sachlichen Ressourcen zur Verfügung stehen müssen, sichert.
Wien, am 29. Oktober 2024
Mag.a Elena Haslinger
Präsidentin (StAV)
0676/898941205
staatsanwaelte.at
Dr. Martin Ulrich
Vorsitzender (GÖD BV 23)
0676/898914000