POSITIONSPAPIER – DER STAATSANWALTSCHAFTLICHEN UND RICHTERLICHEN STANDESVERTRETUNGENZUR BEABSICHTIGTEN „EINRICHTUNG EINER UNABHÄNGIGEN WEISUNGSFREIEN BUNDESSTAATSANWALTSCHAFT“IN DER AUSGESTALTUNG DES MINISTERRATSBESCHLUSSES VOM 9. JULI 2025 (18/29)

Die staatsanwaltschaftlichen und richterlichen Standesvertretungen befürworten grundsätzlich die Schaffung einer – auch ihrem Anschein nach – von der Politik entflochtenen und in diesem Sinne unabhängigen und weisungsfreien staatsanwaltschaftlichen Weisungsspitze.

Ziel muss es sein und bleiben, den Anschein politischer Einflussnahme auf staatsanwaltschaftliche Ermittlungen vollständig zu beseitigen.

Wir begrüßen die Haltung von Justizministerin Dr.in Anna Sporrer, die betont, dass Staatsanwältinnen und Staatsanwälte weiterhin Organe der ordentlichen Gerichtsbarkeit bleiben müssen, dass nur Staatsanwältinnen und Staatsanwälte sowie Richter:innen die oberste Weisungsspitze bilden sollen und es keine parlamentarische Kontrolle laufender Ermittlungen geben darf.

Allerdings sehen wir den aktuellen Ministerratsbeschluss vom 9. Juli 2025 (18/29) kritisch, weil damit das Ziel, nämlich die Anscheinsproblematik nachhaltig und restlos zu beseitigen, nicht erreicht wird und sogar die Gefahr einer Intensivierung derselben besteht.

Der Ministerratsbeschluss widerspricht in ganz zentralen Eckpunkten nicht nur den langjährigen Forderungen der richterlichen und staatsanwaltschaftlichen Standesvertretungen, sondern auch den mehrheitlich getroffenen Empfehlungen der seinerzeit von Bundesministerin für Justiz Dr.in Alma Zadić, LL.M. einberufenen „Arbeitsgruppe zur Schaffung einer unabhängigen und weisungsfreien Bundesstaatsanwaltschaft“.

Gegen folgende Aspekte des Ministerratsbeschlusses bestehen wesentliche Bedenken; wir sehen daher die Notwendigkeit, die Ausgestaltung in diesen Bereichen grundlegend zu überarbeiten:

1.      Keine ausschließliche Besetzung mit Experten und Expertinnen:

Der Ministerratsbeschluss stellt nicht sicher, dass die oberste Weisungsspitze ausschließlich aus Staatsanwältinnen und Staatsanwälten oder Richter:innen besteht. Das ist essenziell, weil nur dieser Personenkreis die notwendige unmittelbare einschlägige Berufserfahrung im Ermittlungs-, Fachaufsichts- und Weisungsbereich aufweist. Der Entwurf des Ministerratsbeschlusses lässt diesbezüglich klare Vorgaben vermissen.

In der ersten und zweiten staatsanwaltschaftlichen Instanz eine Ernennung als Staatsanwältin bzw. Staatsanwalt – inklusive der Richteramtsprüfung – zwingend vorzuschreiben, aber auf der höchsten Ebene von dieser Voraussetzung und der damit verbundenen Expertise abzugehen und nicht berufserfahrene Personen zu bestellen, ist systemfremd und widerspricht dem Gedanken, dass die erfahrensten Fachleute die wichtigsten Entscheidungen treffen sollen.

Empfehlung: Es sollte eine Ernennung ausschließlich von Staatsanwältinnen und Staatsanwälten bzw. Richterinnen und Richtern mit zumindest zehnjähriger herausragender Expertise im Strafrecht vorgesehen werden.

 

2.      Wahl durch den Nationalrat:

Die geplante Wahl der Spitze der Bundesstaatsanwaltschaft durch den Nationalrat verstärkt den Anschein politischer Einflussnahme, anstatt ihn zu beseitigen. Nach geltendem Recht ist die Justizministerin bzw. der Justizminister als „politisches“ Organ die oberste Weisungsspitze. Zwar besteht hier eine potenzielle Anscheinsproblematik, jedoch ist die Person klar politisch zuordenbar. Wenn aber das oberste weisungsbefugte Gremium künftig direkt von der Politik (dem Nationalrat) gewählt wird, könnte dies den Eindruck erwecken, dass politische Parteien unmittelbar Einfluss auf die Besetzung und damit indirekt auf die Entscheidungen nehmen können. Das würde die Anscheinsproblematik nicht beseitigen, sondern verschärfen.

Die Möglichkeit, dass Kandidatinnen und Kandidaten in politischen „Sidelettern“ festgelegt werden könnten, wäre ein fatales Signal für die Unabhängigkeit der Justiz. Einen deutlichen Beleg für die damit einhergehende Verschärfung der Anscheinsproblematik bietet auch die jüngst in Deutschland entbrannte Diskussion über die beabsichtigte Bestellung neuer Verfassungsrichter:innen und die damit einhergehenden politischen Debatten.

Empfehlung: Die eingesetzte Arbeitsgruppe schlug stattdessen ein Ernennungsprozedere vor, das sich bewährt hat und schon aktuell für hohe und höchste Justizfunktionen vorgesehen ist. In Anlehnung an das richterliche Modell (Präsident:in und Vizepräsident:in des Obersten Gerichtshofes) hat sich die Arbeitsgruppe für die Einrichtung eines Personalsenates und ein Vorschlagsrecht der Bundesregierung an die direkt gewählte Bundespräsidentin bzw. den Bundespräsidenten ausgesprochen. Da die bzw. der Bundespräsident:in direkt vom Volk gewählt wird (Art. 60 Abs. 1 B-VG) ist somit der demokratische Legitimationszusammenhang bestmöglich gewahrt.

 

3.      Bestellung für bloß sechs Jahre:

Die im Ministerratsbeschluss vorgesehene bloß sechsjährige Bestellungsdauer ist zu kurz. Ein zwingender Austausch des Kollegiums alle sechs Jahre birgt das Risiko von Reibungsverlusten und eines Verlustes an Know-how, insbesondere bei langen und komplexen Ermittlungsverfahren, die zeitlich über eine Amtszeit hinausgehen.

Darüber hinaus ist eine derart kurze Amtszeit auch der Beseitigung der Anscheinsproblematik nicht förderlich. Eine (auch dem Anschein nach) von sachfremder Einflussnahmemöglichkeit freie Amtsführung durch Richter:innen sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälten wird maßgeblich durch deren unbefristete Ernennung (bis zur Pensionierung) gewährleistet.

Eine bloß auf sechs Jahre befristete Amtszeit könnte das Kollegium auch in seinen Entscheidungen beeinflussen, wenn etwa kurz vor dem Ende der Amtszeit wichtige Verfahren zu erledigen sind. So könnte der Eindruck entstehen, dass Entscheidungen auch mit Blick auf zukünftige Karrieremöglichkeiten getroffen werden.

Die Bestellungsdauer der Bundesstaatsanwaltschaft liegt mit sechs Jahren auch nur geringfügig über der Legislaturperiode des Nationalrates (fünf Jahre). Diese zeitlich enge Kongruenz könnte den Anschein erwecken, dass „die Politik“ sich das Dreiergremium nach Neuwahlen gezielt aussuchen kann, zumal eine Wiederbestellung ausgeschlossen ist und somit alle drei Personen zwingend ausgetauscht werden müssen. Das schadet dem Vertrauen in die Justiz und kann letztlich auch dem Ansehen der Politik schaden.

Empfehlung: Die Mehrheit der Arbeitsgruppe sprach sich für eine unbefristete Bestellung aus. Eine allfällige zeitliche Befristung sollte entsprechend lange, etwa mit zwölf Jahren, gewählt werden.

 

4.      Dreierkollegium mit rotierendem Vorsitz:

Die Leitung der Behörde durch ein gleichberechtigtes Kollegialorgan mit alle zwei Jahre wechselndem Vorsitz ist unpraktikabel und für Staatsanwaltschaften gänzlich unüblich. Ein gleichberechtigtes Dreierkollegium an der Spitze einer Staatsanwaltschaft, das die gesamte Behörde leiten soll, erscheint ineffizient und mit großen Reibungsverlusten verbunden.

Insbesondere wird bezweifelt, dass die Mitglieder des Dreierkollegiums neben der gesamten Behördenleitung auch noch eine fachlich tiefgehende rechtliche Prüfung komplexer Sachverhalte in der geforderten Qualität gewährleisten können. Hinzu kommt, dass die Aufgaben der Generalprokuratur ebenfalls wahrgenommen werden sollen, was die Arbeitslast zusätzlich erhöht.

Verschärft wird die Problematik der ohnehin kurzen Amtszeit von sechs Jahren durch einen alle zwei Jahre (!) wechselnden Vorsitz innerhalb des Dreierkollegiums. Dies erschwert Kontinuität und eine kohärente Behördenführung zusätzlich.

Empfehlung: Dem Modell der Europäischen Staatsanwaltschaft (EuStA) folgend wird für die Behördenleitung (organisatorische Agenden, Justizverwaltung und Repräsentation) grundsätzlich eine monokratische Struktur (eine Person an der Spitze) befürwortet.

Für Entscheidungen in den einzelnen Strafsachen im Bereich der Fachaufsicht wären hingegen Senate bestehend aus drei Personen sinnvoll, um eine breitere Expertise zu nutzen und die Verantwortlichkeit auf mehrere Schultern zu verteilen. Dabei soll zwischen der Leitung und dem Entscheidungsorgan kein fachliches Weisungsrecht bestehen.

 

5.      parlamentarische Kontrolle:

Die Festlegung im Ministerratsbeschluss, wonach eine „begleitende (und dadurch beeinflussende) Kontrolle laufender Ermittlungen nicht vorgesehen“ ist, wird begrüßt.

Empfehlung: Es ist sicherzustellen, dass das Ziel einer von unsachlicher Einflussnahme freien Ermittlungstätigkeit nicht durch punktuelle parlamentarische Kontrollmöglichkeiten konterkariert wird. Dementsprechend empfahl auch die Venedig-Kommission des Europarates, dass eine Rechenschaftspflicht der Weisungsspitze gegenüber dem Parlament über die Frage der Strafverfolgung oder Nichtverfolgung in einzelnen Fällen ausgeschlossen werden sollte. Die Entscheidung über Strafverfolgung oder Nichtverfolgung sollte allein bei der Staatsanwaltschaft (kontrolliert durch unabhängige Gerichte) und nicht bei der Exekutive oder Legislative liegen. Auch die EU-Kommission empfahl in ihrem jüngsten Bericht über die Rechtsstaatlichkeit 2025, dass europäischen Standards folgend, die Berichterstattungspflicht der Staatsanwaltschaft keine Verpflichtung beinhalten sollte, das Parlament über die Einzelheiten von bestimmten Verfahren zu informieren. Mit Blick auf die Ausführungen im Regierungsprogramm attestierte die EU-Kommission „begrenzte Fortschritte hinsichtlich dieser Empfehlung“.

Die Arbeitsgruppe empfahl zur Verhinderung einer Einflussnahme durch die Politik und einer potentiellen Gefährdung von Ermittlungen, laufende Strafverfahren von der parlamentarischen Kontrolle grundsätzlich auszunehmen und die parlamentarische Kontrolle auf rechtskräftig abgeschlossene Verfahren zu beschränken. Überwiegend abgelehnt wurde auch die Einrichtung eines ständigen Unterausschusses.

 

6.      Zusammensetzung der Auswahlkommission:

Die Zusammensetzung der zur Erstattung von Besetzungsvorschlägen berufenen Kommission nach dem Ministerratsbeschluss wird abgelehnt. Eine Besetzung der Auswahlkommission mit nicht durchgehend unmittelbar einschlägige strafrechtliche Expertise aufweisenden Mitgliedern wird nicht befürwortet, weil Aufgabe der Kommission ja die Beurteilung der einschlägigen Kenntnisse und Eignung von Bewerberinnen und Bewerbern in den angesprochenen strafrechtlichen Bereichen sein soll. Personen aus Wissenschaft, allgemeiner Verwaltung oder der allgemeinen Praxis – mögen sie auch „anerkannt“ sein –, verfügen nicht zwingend über die spezifische Expertise, um die Eignung für diese speziellen staatsanwaltschaftlichen Aufgaben umfassend beurteilen zu können.

Empfehlung: Wie bereits seitens der Arbeitsgruppe wird eine Auswahlkommission nach dem Vorbild des für die Bestellung der Präsidentin bzw. des Präsidenten des Obersten Gerichtshofes vorgesehenen Personalsenats befürwortet.

In diesem Zusammenhang ist auch auf die Empfehlung der EU-Kommission in ihrem jüngsten Bericht über die Rechtsstaatlichkeit 2025 hinzuweisen. Die Kommission monierte, dass Regierungsmitgliedern das Recht eingeräumt wird, Vorschläge für die Besetzung der Positionen der (Vize-)Präsidentinnen und Präsidenten der Verwaltungsgerichte und somit von Spitzenfunktionen im Justizwesen zu unterbreiten und ortete Bedenken in Bezug auf die Einhaltung europäischer Standards. Österreich wurde neuerlich empfohlen, die Justiz systematisch an der Ernennung der (Vize-) Präsidentinnen und Präsidenten der Verwaltungsgerichte zu beteiligen.

 

7.      Generalprokuratur und „Bundesstaatsanwaltschaft“:

Die Generalprokuratur beim Obersten Gerichtshof hat als „Hüterin des Rechts“ eine neutrale und rechtswahrende Funktion. Sie ist nicht an Ermittlungen oder Anklagen beteiligt. Ihre Aufgabe ist es, die Rechtmäßigkeit gerichtlicher Entscheidungen zu überprüfen und gegebenenfalls Nichtigkeitsbeschwerden zur Wahrung des Gesetzes einzubringen. Dies sichert ein System von „checks and balances“ innerhalb der Justiz.

Wenn das Dreierkollegium sowohl die Fachaufsicht und den Weisungsbereich der neuen Bundesstaatsanwaltschaft als auch die Aufgaben der Generalprokuratur wahrnehmen soll, entsteht ein massiver Interessenkonflikt. Das Kollegium würde dann eigene Ermittlungs- und Anklageentscheidungen überprüfen müssen, was eine neutrale Rechtswahrung unmöglich macht. Es käme zu einer „inneren Konfliktsituation“.

Empfehlung: Die Ermittlungs- und Anklagefunktion der Bundesstaatsanwaltschaft muss strikt von den rechtswahrenden Aufgaben der Generalprokuratur getrennt bleiben. Nur so kann die seit 175 Jahren bewährte neutrale Stellung der Generalprokuratur und die Kontrolle der Rechtmäßigkeit im Strafrechtsbereich unvermindert aufrechterhalten werden. Es wird somit empfohlen, das Entscheidungsgremium „Bundesstaatsanwaltschaft“ getrennt von der aufrecht zu erhaltenden monokratischen Behördenstruktur der Generalprokuratur auszugestalten.

 

8.      Verantwortlichkeit des „Dreierkollegiums“ (auch) gegenüber dem Verfassungsgerichtshof:

Unbestritten soll das Dreierkollegium in straf-, disziplinar- und dienstgerichtlicher Hinsicht zur Verantwortung gezogen werden können. Der Ministerratsbeschluss sieht vor, dass (neben dem Obersten Gerichtshof in dienst- und disziplinarrechtlichen Angelegenheiten) eine Verantwortlichkeit der Bundesstaatsanwältinnen und Bundesstaatsanwälte gemäß Art. 142 B-VG bestehen soll.

Gemäß Art. 142 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Anklage, mit der die verfassungsmäßige Verantwortlichkeit der obersten Bundes- und Landesorgane für die durch ihre Amtstätigkeit erfolgten schuldhaften Rechtsverletzungen geltend gemacht wird.

Es erscheint fraglich, welche zusätzlich über die geschilderten straf- und disziplinarrechtlichen Bereiche hinausgehenden „schuldhaften Rechtsverletzungen“ überhaupt denkbar sind, die nicht ohnedies bereits vollständig durch das Straf- und Disziplinarrecht abgedeckt sind und damit vom Obersten Gerichtshof geahndet werden.

Empfehlung: Da keine „Rechtsschutzlücke“ auszumachen ist, die gemäß Art. 142 B-VG vom Verfassungsgerichtshof wahrzunehmen wäre, wird – der Arbeitsgruppe folgend – angeregt, die Zuständigkeit für eine Abberufung des Dreierkollegiums der Bundesstaatsanwaltschaft ausschließlich dem Obersten Gerichtshof zu übertragen. Dies würde eine klare Zuständigkeitsregelung schaffen und Doppelzuständigkeiten vermeiden.

 

Wien, am 5. August 2025

 

Mag.a Elena Haslinger                                Dr. Martin Ulrich                                                          Dr. Gernot Kanduth

Präsidentin (StAV)                                       Vorsitzender (GÖD BV 23)                                          Präsident (RiV)

0676/898941205                                               0676/898914000                                                               0676/898931311

 

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