Stellungnahme der Vereinigung Österreichischer Staatsanwältinnen und Staatsanwälte (StAV) zum Entwurf eines Bundesgesetzes, mit dem das Strafgesetzbuch geändert wird (BMJ-GZ: 2025-0.309.548)

Zum zitierten Entwurf eines Bundesgesetzes nimmt die Vereinigung Österreichischer Staatsanwältinnen
und Staatsanwälte (StAV) wie folgt Stellung:

Eingangs ist festzuhalten, dass es sich bei dem dem Entwurf zugrundeliegenden Wirkungsziel, und zwar bei der Gewährleistung der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens durch die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, um ein wichtiges Anliegen handelt. Um Lücken im Gewaltschutz zu schließen, wird mit dem Entwurf ein Verhalten, das bislang keinen mit gerichtlicher Strafe bedrohten Tatbestand erfüllt hat, kriminalisiert. Für die Strafverfolgungsbehörden geht mit dem Vorhaben somit zweifellos ein Mehraufwand einher. Dass dieser nicht – wie die WFA nahelegt – in einem vernachlässigbaren Bereich liegen wird, verdeutlichen schon die Anfallszahlen bei den Staatsanwaltschaften betreffend § 218 StGB. So war seit dem Jahr 2021 eine Anfallssteigerung von 45% (1.987 Fälle im Jahr 2021 und 2.897 Fälle im Jahr 2024) an Vergehen der sexuellen Belästigung und öffentlichen geschlechtlichen Handlung nach §  218 StGB zu verzeichnen[1]. § 218 StGB normiert zwar verschiedene Tatbestände. Ihnen allen ist aber gemein, dass es sich um Formen von sexuellen Handlungen handelt, die in der Form wie bzw. in wessen Gegenwart oder an wem sie ausgeführt werden, Belästigungen darstellen. Nicht ohne Grund ist die Implementierung des neuen Tatbestandes in § 218 StGB (Abs 1b) als spezielle Form der sexuellen Belästigung geplant.

Dass im Rahmen der WFA für die Kalkulation des Umfangs, der Reichweite und letztlich der finanziellen Auswirkungen des neu zu schaffenden Straftatbestandes nicht § 218 StGB, sondern § 120a StGB herangezogen wurde, erschließt sich deshalb nicht. Ein wesentlicher Unterschied liegt insbesondere darin, dass Tathandlungen iSd § 120a StGB im Verborgenen (arg. „unerlaubte“, also ohne Einwilligung aufgenommene Bildaufnahme) stattfinden. Vor allem beim „Upskirting“, das geradezu den Idealtypus des § 120a StGB darstellt,
handelt der Täter wohl überwiegend mit der Intention, unbemerkt und unbeobachtet eine Bildaufnahme von Genitalien, der Schamgegend oder der diese Körperregionen bedeckenden Unterwäsche des Opfers herzustellen. Im Gegensatz dazu treten Tathandlungen im Sinne des neu zu schaffenden Straftatbestandes, etwa beim Versand von „dick pics“, offen zu Tage. Der Täter oder die Täterin verfolgt beim Versand solcher Bildaufnahmen gerade nicht das Ziel, unbemerkt und unbeobachtet zu bleiben. Intention des Versandes insbesondere von „dick pics“ ist es, dadurch Frauen gegenüber vermeintliche Männlichkeit, Mut und Dominanz zum Ausdruck zu bringen. Die Absender solcher Bilder sind sich dabei meist im Klaren, dass sie damit Grenzen überschreiten, sie haben aber das Bedürfnis, durch das bewusste Überschreiten dieser Grenzen, Macht auszuüben.[2]

Aus diesem Grund ist bei realistischer Betrachtung zu erwarten, dass Tathandlungen nach dem zu schaffenden Straftatbestand weit häufiger zur Anzeige gebracht werden, als unbefugte Bildaufnahmen nach § 120a StGB. Folglich ist auch nicht bloß – wie in der WFA angeführt – ein „vernachlässigbarer personeller Mehrbedarf“ zu erwarten, sondern eine spürbare Mehrbelastung der Staatsanwaltschaften absehbar. 

Schwierigkeiten können sich für die Strafverfolgungsbehörden insbesondere betreffend Chatgruppen und –foren ergeben, in denen immer wieder neue Mitglieder hinzugefügt bzw. aufgenommen werden und nicht per se von einem konkludenten Einverständnis bzw. einer konkludenten Aufforderung zum Empfang von Bildaufnahmen von Genitalien allein aufgrund der Teilnahme in der Gruppe ausgegangen werden kann. Vor allem im Bereich Jugendlicher und junger Erwachsener zeigt die Erfahrung, dass oftmals mehrere hundert Personen in derartigen Gruppen teilnehmen und eine große Fluktuation der Teilnehmer:innen besteht. Muss betreffend jeden Teilnehmer die Opfereigenschaft festgestellt sowie Daten erhoben werden, um die notwendigen Verständigungen vornehmen zu können, und ermittelt werden, ob der Vorsatz des bzw. der Beschuldigten auf den Versand der Bilddateien an die jeweiligen Personen gerichtet war, bedeutet das einen großen Aufwand für die Strafverfolgungsbehörden. Auch bei der Verwendung von „Dating Apps“, die sogar speziell für die Übermittlung von sexuellen Inhalten eingerichtet sein können, ist im Einzelfall zu prüfen, ob sich im Laufe einer Konversation Anhaltspunkte für den oder die Beschuldigte:n ergeben haben, die darauf ließen lassen konnten, dass die Übermittlung der inkriminierten Bildaufnahmen von der anderen Person gewünscht ist.

Da der für die Staatsanwaltschaften mit dem Strafprozessrechtsänderungsgesetz 2024 einhergehende massive Mehraufwand personell bislang nicht abgedeckt wurde und jedenfalls bis zum Jahr 2026 auch nicht abgedeckt wird, sind dringend Überlegungen anzustellen, wie die Staatsanwaltschaften entlastet werden können. Die Schaffung neuer Tatbestände trägt naturgemäß nicht zur Entlastung der Strafverfolgungsbehörden bei.

Soll wichtigen Anliegen, wie in diesem Fall der Gewährleistung der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens durch die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, entsprochen werden können und eine effektive Strafverfolgung auch in Zukunft gesichert sein, sind Reaktionen im Personaleinsatz unumgänglich.


Mag. Elena Haslinger

Präsidentin



[1] WFA S 1

[2]https://www.spiegel.de/psychologie/dickpics-warum-maenner-frauen-ungefragt-penisbilder-schicken-a-7abdb8f3-7f8d-46e0-8a32-ce3bf63d3fcd

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