Stellungnahme zum Entwurf eines Strafprozessrechtsänderungsgesetzes 2014

Die Vereinigung österreichischer Staatsanwältinnen und Staatsanwälte zu aktuellen Reformplänen des Bundesministeriums für Justiz – Alternativvorschläge zur Beschleunigung von Großverfahren und Kritik an mehreren Bestimmungen sowie an der viel zu kurzen Begutachtungsfrist.

 

Die Vereinigung österreichischer Staatsanwältinnen und Staatsanwälte zu aktuellen Reformplänen des Bundesministeriums für Justiz – Alternativvorschläge zur Beschleunigung von Großverfahren und Kritik an mehreren Bestimmungen sowie an der viel zu kurzen Begutachtungsfrist.

 

A. Die Österreichischen Staatsanwältinnen und Staatsanwälte unterstützen jede Bemühung zur Beschleunigung gerade von komplexen und langwierigen Verfahren wie auch weitere Ziele des vorliegenden Entwurfs. Wir weisen allerdings mit Nachdruck darauf hin, dass eine Begutachtungsfrist von sechzehn Tagen für eine umfangreiche und bedeutende Änderung dieser Art einer Verhöhnung der betroffenen Berufsgruppen nahekommt. Wir haben in den letzten Jahren mehrfach darauf hingewiesen, dass eine ernstzunehmende inhaltliche Diskussion derartiger Novellen nur dann erfolgen kann, wenn sich Richter, Strafverteidiger und Staatsanwälte über mehrere Wochen hinweg in unterschiedlicher Zusammensetzung und mit notwendigen Nachdenkpausen wiederholt treffen, um alle Aspekte zu diskutieren. Meinungsbildung und das Durchdenken von Alternativvorschlägen funktioniert nicht im Eiltempo. Die Akzeptanz gegenüber Reformen leidet ebenfalls unter diesem Zeitdiktat. Es besteht nicht die geringste Notwendigkeit, die Novelle in kürzester Zeit durchzupeitschen, es entsteht aber der Verdacht – zu Recht oder zu Unrecht – die späteren Rechtsanwender überrumpeln zu wollen. Speed kills quality! Auf die sechs-Wochen-Frist nach § 9 Abs 3 WFA-GV wird hingewiesen. Wir regen daher dringend an, zu den parlamentarischen Beratungen die Expertise der betroffenen Berufsgruppen einzuholen und – wie bei größeren Strafrechtsreformen früher üblich – die Vertreter dieser Gruppen und auch der Wissenschaft in den Justizausschuss einzuladen.

 

B. Zum Entwurf:

Aufgrund der kurzen Begutachtungsfrist können wir nicht zu allen Punkten des Entwurfs Stellung nehmen; wir haben uns in den Beratungen auf die nachstehenden Punkte konzentriert, da sie nach Ansicht der Vereinigung die größere Bedeutung haben. 

 

1. Zum Beschuldigtenbegriff und zu § 35c StAG: 

Das Ziel einer klaren Abgrenzung des Begriffs des Beschuldigten von Personen, die ohne hinreichendes Substrat angezeigt werden und damit die Definition des Anfangsverdachts werden von der Vereinigung zur Gänze mitgetragen. Auch der Argumentation der Erläuterungen (Seiten 2 f.) ist – insbesondere was Anzeigen gegen die Mitglieder allgemeiner Vertretungskörper betrifft – zu folgen. Gerade in diesen Fällen entsteht oft der Eindruck, dass im politischen Diskurs (inhaltsleere) Anzeigen gezielt eingebracht werden, um Gegner als Beschuldigte an den Pranger zu stellen. Fraglich ist aber, ob der Begriff „Verdächtiger“ dazu ausreicht. Im allgemeinen Sprachgebrauch wird zwischen Beschuldigtem und Verdächtigen wohl wenig Unterschied gemacht werden. Abgesehen davon, dass aus semantischen Gründen der Begriff „Verdächtigter“ vorzuziehen wäre, wird zur klareren Abgrenzung der Begriff „Angezeigter“ vorgeschlagen. 

Die gesetzliche Verankerung der bislang auf Erlass (BMJ-S585.000/0015-IV 3/2013) basierenden Praxis zur Erledigung von Anzeigen ohne ausreichenden nfangsverdacht wird grundsätzlich begrüßt. Nach Ansicht der Vereinigung sollte diese Regelung jedoch in der StPO und nicht im StAG vorgenommen werden, da es sich trotz mangelnden Anfangsverdachts um eine Anzeige an die Staatsanwaltschaft handelt, die dementsprechend unter Einhaltung aller Formvorschriften behandelt werden soll. Dass gegen diese Erledigung kein eigenständiges Rechtsmittel erhoben werden kann, wird begrüßt. In der Praxis der Staatsanwaltschaften stammen viele dieser Anzeigen ohne Anfangsverdacht von Personen mit verdichtetem Rechtsbewusstsein, mitunter in wirren Worten. Dass die Anzeiger dieser Eingaben eigens über der Möglichkeit einr Aufsichtsbeschwerde nach § 37 StAG zu belehren sind, wird strikt abgelehnt: Die Aufsichtsbeschwerde ist ein allgemeiner und nicht fristgebundener Rechtsbehelf, der überdies keine § 196 Abs 2 StPO entsprechende Kostenpflicht auslöst. Der mit einer Belehrungspflicht zwangsläufig verbundene Anstieg an Aufsichtsbeschwerden würde in Summe nennenswerte personelle Kapazitäten binden und damit zum Gegenteil einer Verfahrensbeschleunigung führen.

 

2. Zur Diversion, zum Kostenersatz und zum Schöffenverfahren: 

Diese Maßnahmen werden ausdrücklich begrüßt, wobei man den Einsatz eines zweiten Berufsrichters auch für andere Fälle andenken sollte. Die Abgrenzung anhand eines Schadensbetrages hat zwar den Vorteile der eindeutigen Bestimmbarkeit, dadurch werden aber komplexe und langwierige Verfahren mit geringeren Schadensbeträgen außer Acht gelassen. Es wird daher vorgeschlagen, dem orsitzenden die Möglichkeit einzuräumen, einen zweiten Berufsrichter beizuziehen, wenn die voraussichtliche Verhandlungsdauer drei Tage übersteigt. 

 

3. Zum Mandatsverfahren:

Mit 31.12.1999 wurde das alte Mandatsverfahren aus guten Gründen abgeschafft und die Diversion eingeführt. Den Erläuterungen ist jedoch zu zustimmen, wenn sie den Rechtsschutz des vorgeschlagenen Mandatsverfahrens als verbessert ansehen. Die durch das Mandatsverfahren möglichen Einsparungen sind dabei gegen die offenkundigen Nachteile dieses verkürzten Verfahrens abzuwägen: In der weitaus überwiegenden Mehrzahl der in Frage kommenden Verfahren wurde der Beschuldigte durch die Kriminalpolizei, nicht aber durch Staatsanwaltschaft oder Gericht vernommen. Die Strafzumessung von unbedingten Freiheitsstrafen (bei Berücksichtigung der Widerrufsmöglichkeit bis zur Dauer von mehreren Jahren!) ohne einen persönlichen Eindruck vom Angeklagten zu haben, erscheint überzogen. Die Beurteilung der subjektiven und objektiven Tatbestandsmerkmale reicht nicht aus, um eine angemessene Freiheitsstrafe festzusetzen.

 

4. Zur Sachverständigenbestellung:

Die von einigen Litigation PR-Profis in den letzten Jahren unablässig getrommelte Botschaft, wonach der Sachverständige – überzeichnet ausgedrückt – ein willenloser Agent des verfolgungswütigen Staatsanwalts sei, trägt Früchte. Für den Staatsanwalt gilt ein strenges Objektivitätsgebot nach § 3 StPO, das durch die in der usbildung als Richteramtsanwärter erfolgte richterliche Prägung der österreichischen Staatsanwältinnen und Staatsanwälte noch deutlich verstärkt wird. Im Unterschied zur von (amerikanischen) Filmen und Fernsehserien kolportierten Meinung, dass eine Verurteilung ein Erfolg und ein Freispruch oder gar eine Einstellung des Verfahrens eine Niederlage seien, ist nach unserer Überzeugung die ordentliche, gründliche und rasche Führung eines Ermittlungsverfahrens der einzig erzielbare Erfolg. Das Ergebnis (Verurteilung, Einstellung oder Freispruch) ist dabei gleichgültig. Dafür sprechen auch die Einstellungsquote von rund 50% aller Anzeigen sowie eine im europäischen Vergleich sehr niedrige Freispruchsquote.

Sachverständige sind aufgrund ihres abgelegten Eides nach § 5 SDG und der parallelen Bestimmung in § 127 Abs 2 StPO dazu verpflichtet, Befund und Gutachten nach bestem Wissen und Gewissen und nach den Regeln ihrer Wissenschaft abzugeben. Auch sie haben objektiv zu sein. Für beide Berufsgruppen gilt, dass ein bewusstes Abweichen von der Objektivität zu disziplinären und auch zu strafrechtlichen Konsequenzen führen kann. Aus Sicht der Vereinigung ist entgegen der veröffentlichten Meinung kein derart weitgehender Handlungsbedarf gegeben, auch wenn uns bewusst ist, dass dies aufgrund der jahrelangen Propaganda nicht verstanden werden wird. Die vorgeschlagene Regelung bringt mehrere Probleme mit sich: Erstens wird kein Beschuldigter ein Privatgutachten vorlegen oder einen privaten Sachverständigen beiziehen, wenn dadurch nicht seine Verteidigungsposition massiv gestärkt wird. Wir ollen niemandem Käuflichkeit unterstellen, aber gerade in Verfahren mit äußerst reichen Beschuldigten ist ein lukrativer Auftrag für Experten nur dann zu holen, wenn auch ein dem Klienten genehmes Privatgutachten geliefert wird. Zweitens ist durch die formalisierte Einbringung von Privatgutachten in das Verfahren mit erheblichen Verzögerungen und Kostensteigerungen zu rechnen. Das Privatgutachten ist jedenfalls vom durch die Staatsanwaltschaft bestellten Gutachter zu überprüfen; dazu ist wohl immer ein Ergänzungsgutachten zu erstatten. In der Hauptverhandlung führt die Befragung des (nunmehr) gerichtlich bestellten Sachverständigen durch den Privatgutachter zu längeren Verhandlungen und in vermutlich nicht wenigen Fällen zur Bestellung eines weiteren Sachverständigen. In äußerst komplexen Wirtschaftsstrafverfahren (in denen mitunter millionen- oder milliardenschwere Beschuldigte schon heute die Litigation PR-Orgel bemühen) kann dies zu monatewenn nicht jahrelangen Verzögerungen führen. Angesichts der Beträge die die österreichische Justiz schon heute für Sachverständigengutachten ausgibt und vor dem Hintergrund von Budgetkürzungen stellt sich überdies die Frage, wie dies finanziert werden soll.

Der ebenfalls vorgeschlagenen Beiziehung eines privaten Sachverständigen zur Hauptverhandlung durch den Verteidiger und dem Fragerecht dieses Sachverständigen wird nicht entgegengetreten. Weitere Vorschläge finden sich unter Punkt C.

 

5. § 108a StPO: 

Die Vereinigung unterstützt selbstverständlich das hinter dieser Regelung stehende Ziel der Verfahrensbeschleunigung da diese auch im ureigensten Interesse der Staatsanwältinnen und Staatsanwälte liegt. Seit vielen Jahren schlägt die Vereinigung immer wieder Maßnahmen vor, die vor allem die großen Wirtschafts- und Korruptionsverfahren beschleunigen würden. Einige davon werden in dieser Stellungnahme unter Punkt C. wiederholt. Der Vorschlag des § 108a StPO ist wohl gut gemeint, kann aber zu einer wirklichen Verfahrensbeschleunigung nichts beitragen. Eine Analyse der mehr als drei Jahre dauernden Verfahren (die überdies tatsächlich durch eine universitäre Einrichtung durchgeführt werden sollte) würde zeigen, dass bei diesen Verfahren mehrere externe Faktoren hinzu kommen. Die vorgeschlagene Regelung wird aber von vielen Staatsanwältinnen und Staatsanwälten als Vorwurf empfunden: Nicht mangelnde personelle Ausstattung bei Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft, mühselige Rechtshilfeersuchen, langwierige oft überbürokratisierte Rechtsstreitigkeiten wie etwa nach § 112 StPO sind an den langen Verfahren schuld, sondern die Unwilligkeit oder gar Unfähigkeit der Staatsanwaltschaften. Das dies nicht der Fall ist, soll hier auch aufgezeigt werden. Als reiner Verfahrensbeschleuniger ist § 108a StPO jedenfalls nicht geeignet. Will man diese Grenze von drei Jahren jedoch aus rein grundrechtlichen Erwägungen einziehen, sollten einige weitere externe Zeitfaktoren berücksichtigt werden. § 108a Abs 4 StPO berücksichtigt etwa nicht die Zeiten in denen die Ermittlungen wegen anhängiger Rechtsmittelverfahren zumindest teilweise ehemmt sind. Die Nichteinrechnung nach § 108a Abs 4 StPO hat aber in komplexen Verfahren, in denen wegen mehrerer Sachverhaltskomplexe gegen mehrere Beschuldigte ermittelt wird einen großen Nachteil: Schon die Frage, seit wann gegen einen von vielen Beschuldigten wegen eines bestimmten Vorwurfs ermittelt wird, wird oft schwer beantwortbar sein. Die Konsequenz wäre ein aufgeblähtes und bürokratisches Verfahren nach § 108a StPO, dass schwerfällig und wiederum Zeit fressend die Rechte der Beschuldigten stärken soll. Es wäre daher vorzuziehen, die beschriebenen nicht einzuberechnenden Zeitfaktoren in § 108a Abs 1 2. Satz StPO als Gründe für die Verlängerungsmöglichkeit durch das Gericht vorzuziehen . 

 

C. Eigene Vorschläge: 

1. Einsatz von Experten:

Ein wesentlicher Grund für die Diskussion rund um die Sachverständigen lag darin, dass in komplexen Wirtschaftscausen ein Teil der Ermittlungsarbeit im Rahmen von Hausdurchsuchungen und Sichtung von Unterlagen durch die Kriminalpolizei nicht mehr geleistet wird. Aus Sicht der Vereinigung gibt es in Österreich schlicht zu wenige für diese Arbeit ausgebildete Polizeibeamte, die sich aber – infolge der Wirtschaftskrise – mit mehreren Dutzend Großverfahren beschäftigen müssten. Diese Tätigkeit wurden daher in den letzten Jahren verstärkt auf die Sachverständigen und ihre Mitarbeiter übertragen. Diese Tatsache wurde auch vom OGH zu 12 Os 90/13x aufgegriffen „inhaltliche Ermittlungstätigkeit“). Die bessere Ausbildung und der verstärkte Einsatz von Wirtschaftspolizisten steht nicht in der Ingerenz der Justiz; wir haben aber schon wiederholt vorgeschlagen, das erfolgreiche Modell der WKStA zum Experteneinsatz, auf ganz Österreich auszudehnen. 

 

2. Zentrales Kontenregister: 

Nach deutschem Vorbild sollte ein zentrales Kontenregister eine erhebliche Beschleunigung der Ermittlungstätigkeit bringen. Überdies würden die Rechte der Beschuldigten besser gewahrt werden, wenn nicht rund 800 Bankmitarbeiter über ein Verfahren informiert werden würden. Die Rechtsmittelbefugnis der Banken gegen Kontenöffnungen sollte durch verstärkte Rechtsmittelbefugnis der Beschuldigten ersetzt werden. Auch das würde Verzögerungen durch oft sinnlose Rechtsmittel der Banken vermeiden. 

 

3. Beschleunigung der Verfahren nach § 112 StPO: 

In großen Wirtschaftsfällen stehen wir regelmäßig vor dem Problem, dass ein Großteil der benötigten Unterlagen der zu untersuchenden Firma bei einem Wirtschaftstreuhänder ausgelagert ist. Im Unterschied zu anderen privilegierten Berufsgruppen wie etwa Rechtsanwälten fallen bei Sicherstellungen dieser Unterlagen oft gewaltige Mengen an. Das Verfahren nach § 112 StPO dauert in diesen Fällen meist viele Monate. Vorgeschlagen wird, das Zeugnisverweigerungsrecht der Wirtschaftstreuhänder (das in Deutschland gar nicht existiert) auf jene Fälle zu eduzieren, in denen sie die Beschuldigten in Finanzstrafverfahren vertreten. Damit würde auch das Widerspruchsverfahren nach § 112 StPO entfallen. 

 

4. Rechtshilfeverfahren:

Große Wirtschafts- und Korruptionsverfahren ohne Auslandsbezug gibt es nicht. Um nur eine Fallkonstellation zu nennen: Bestechungsgelder werden regelmäßig über mehrere Konten, Stiftungen und Scheinfirmen in zumeist mehr als einem Land gewaschen. Die Ermittlungstätigkeit in solchen Fällen dauert oft Jahre. Der vorgeschlagene § 108a StPO erkennt dies in seinem Abs 4 auch an. Wir fordern eine besondere Anstrengung innerhalb der EU und darüber hinaus, um Geldwäscheoasen zu schließen und die internationale Rechtshilfe drastisch zu beschleunigen.

 

5. Berichtswesen:

Ungeachtet der Diskussion über das ministerielle Weisungsrecht, der hier nicht vorgegriffen werden soll, könnten im Berichtswesen in vielen Bereichen Verfahren beschleunigt werden. Einerseits könnte das Berichtsmodell der WKStA auf bestimmte Verfahrensarten oder überhaupt auf alle Verfahren ausgedehnt werden. Andererseits wäre eine weitere Reduktion der Berichtspflichtenerlässe anzudenken. Die genannten Vorschläge sind nicht vollständig und hier auch nur kursorisch dargestellt. Sie sollen aber aufzeigen, dass den österreichischen Staatsanwältinnen und Staatsanwälten einer Beschleunigung aller Strafverfahren und einer weiteren Verstärkung der Rechtsstaatlichkeit des Strafprozesses gegenüber aufgeschlossen ind. Wir müssen aber auch aufzeigen, wenn der Strafverfolgung durch wenn auch gutgemeinte Vorschläge die Hände gebunden werden.  

 

Stellungnahme der Richtervereinigung und der BV Richter und Staatsanwälte in der GÖD
Stellungnahme der Wirtschaftsgruppe der Staatsanwaltschaft Wien

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