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Strafprozessreformgesetz als Kompromiss

Der Leiter der Oberstaatsanwaltschaft Wien, Hofrat Dr. Werner Pleischl, war als zuständiger Abteilungsleiter im Justizministerium an der Entstehung des Strafprozessreformgesetzes beteiligt. Mit 1. Jänner 2008 trat das Gesetz in Kraft. Ein Interview.

Der Leiter der Oberstaatsanwaltschaft Wien, Hofrat Dr. Werner Pleischl, war als zuständiger Abteilungsleiter im Justizministerium an der Entstehung des Strafprozessreformgesetzes beteiligt. Mit 1. Jänner 2008 trat das Gesetz in Kraft. Ein Interview.

Was waren die Beweggründe für das Strafprozessreformgesetz? Warum wurde dieses Gesetz ausgearbeitet?

Das primäre Problem lag darin, dass das geltende Gesetz in seinen Grundzügen aus dem 19. Jahrhundert stammte und das so genannte Untersuchungsrichterprinzip enthielt. Im Laufe der Jahrzehnte hat sich aber herausgestellt, dass im Wesentlichen die Polizei die Ermittlungen führt. Dafür fehlte bislang aber die gesetzliche Grundlage. Das Gesetz ist als Kompromiss zu sehen zwischen allen, die am Strafverfahren beteiligt sind: RichterInnen, StaatsanwältInnen, Polizei, VerteidigerInnen und VertreterInnen der Opfer.

Es gab also schon seit längerem Bestrebungen, an diesem Rechtsdefizit etwas zu ändern?

Ja, derartige Bestrebungen hat es schon länger gegeben. Konkret haben diese in den 1970er Jahren ihren Ursprung. Als 1975 das Strafgesetzbuch in Kraft trat, wollte man gleich auch die Prozessordnung reformieren. Man hat damals eine Kommission eingesetzt, die neun Jahre getagt hat. Auch wurden mehrere Konzepte ausgearbeitet. Es gab zwar eine Menge Bemühungen, aber keine zielführenden Ergebnisse.

Welche neuen Aufgaben bekommt die Staatsanwaltschaft durch dieses neue Gesetz?

Die Staatsanwaltschaft wurde im 19. Jahrhundert als Antragsbehörde konzipiert, die im Wesentlichen entweder das Verfahren einstellt oder das, was Untersuchungsrichter und Polizei ermitteln, in Form von Strafanträgen und Anklagen an das Gericht weiterleitet. Durch das Strafprozessreformgesetz soll die Staatsanwaltschaft nun – grob gesagt – zu einer Ermittlungsbehörde werden. Zwar soll sie nicht primär selbst erheben, aber eng mit der Polizei zusammenarbeiten. Die Staatsanwaltschaft soll die Ermittlungen begleiten, kontrollieren und letztlich auch leiten. Damit kommt eine Reihe neuer Aufgaben auf die Staatsanwälte zu, vor allem in kriminalistischer, aber auch in rechtlicher Hinsicht. Die Polizeiarbeit wird nun gesetzlich geregelt, und die Staatsanwaltschaft hat für die Rechtsförmigkeit der Untersuchung zu sorgen.

Durch diese zusätzlichen Funktionen werden ja mehr Staatsanwälte benötigt. Könnte es dabei zu Rekrutierungsproblemen kommen?

So etwas ist natürlich grundsätzlich immer zu befürchten. Aber an sich sind wir gut vorbereitet: Es wurden zusätzliche Richteramtsanwärter aufgenommen und umfangreiche Schulungen vorbereitet. Durch die relativ lange Legisvakanz des Gesetzes sollte es kaum zu Problemen kommen. Aber natürlich ist zu Beginn mit Übergangsschwierigkeiten zu rechnen.

Gab es im Zuge der Ausarbeitung des Gesetzes irgendwelche Anliegen, die nicht umgesetzt werden konnten?

Das möchte ich so nicht sagen. Aber die größte Schwierigkeit bestand darin, dass verschiedene Berufsgruppen beteiligt waren, die natürlich auch unterschiedliche Interessen hatten. Die Polizei will möglichst selbstständig arbeiten, die RechtsanwältInnen möchten umfassende Beteiligungsrechte und die Gerichte wollen möglichst überschaubare Situationen vorfinden. Man wird nun sehen, wie sich alles einspielt und ob das Gesetz in der Praxis tatsächlich eins zu eins umsetzbar ist.

Durch das neue Gesetz übernehmen jetzt also die Staatsanwälte einen Teil der Arbeit, die früher die Untersuchungsrichter gemacht haben?

Das ist eine starke Vergröberung. Die Strafprozessordnung hat über 500 Paragraphen und mehr als 200 davon wurden im Zuge der Reform neu gestaltet. Im Prinzip wurde daher das gesamte Verfahren neu strukturiert. Allerdings hat sich gezeigt, dass die Untersuchungsrichtertätigkeit vielfach zu Doppelgleisigkeit führt: Warum lässt man zuerst die Polizei ermitteln und dann einen Untersuchungsrichter Beweise aufnehmen, die das erkennende Gericht daraufhin noch einmal durchführt? Außerdem hat sich gezeigt, dass UntersuchungsrichterInnen aus verschiedenen Gründen recht unflexibel sind. Durch die starke Bindung an örtliche Zuständigkeiten und durch das Fehlen einer unmittelbaren Anbindung an den Polizeiapparat, haben die Richter nicht die notwendige Flexibilität. Voruntersuchungen dauern in der Regel sehr lange. Die richterliche Untersuchung ist zwar unabhängig, aber ihre Effektivität ist fragwürdig. Staatsanwälte hingegen haben die gleiche Ausbildung wie Richter und ähnliches Selbstverständnis, sind aber flexibler. So können in großen Verfahren auch zwei oder drei Staatsanwälte eingesetzt werden. Dadurch ergeben sich Vorteile für das gesamte Verfahren. Die Qualität der Untersuchung ist das Wesentliche und die kann die Polizei in Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft einfach besser gewährleisten als ein Gericht. Dass man die Stellung der Staatsanwaltschaften stärkt, ist übrigens ein europäischer Trend. Untersuchungsrichter, wie es sie derzeit in Österreich noch gibt, findet man in Europa kaum noch.

Das heißt Österreich hat da als eines der letzten Länder mitgezogen?

Ja. Soweit ich informiert bin, ist in Frankreich schon sehr lange eine Reform in Diskussion, durch die die Untersuchungsrichter, die dort allerdings eine andere Stellung haben, ersetzt werden sollen. Auch in Italien gab es eine Reform, die allerdings in Richtung Stärkung der Untersuchungsrichter ging. Italien ist in dieser Hinsicht aber kein sehr leuchtendes Vorbild, zumal es dort große Schwierigkeiten gibt, Prozesse in akzeptabler Zeit abzuwickeln.

Sollte das Dienstrecht der Staatsanwälte ähnlich jenem der Richter gestaltet werden?

Ja. Zwar haben wir über weite Strecken schon ein Dienstrecht, das dem der Richter ähnlich ist, aber bedauerlicherweise gibt es noch immer gravierende Unterschiede. Das beginnt schon damit, dass uns die Verfassung seit über 85 Jahren ignoriert. Ein weiterer Diskussionspunkt ist die Weisungsgebundenheit, ein Problem, dass allerdings sehr vielschichtig ist. Im Dienstrecht selbst ist uns besonders wichtig, dass wir die volle Diensthoheit auch über die nichtakademischen Mitarbeiter bekommen, vor allem auch über die Bezirksanwälte. Derzeit ist das gesamte Schreib- und Kanzleipersonal – genauso wie die Bezirksanwälte – dienstrechtlich dem jeweiligen Oberlandesgericht unterstellt. Auch haben wir als Staatsanwaltschaften nicht einmal ein eigenes Budget, sondern müssen an jenem der Oberlandesgerichte partizipieren. Ich habe immer das Bild vor mir, dass die Staatsanwaltschaften wie Appendices an den Gerichten hängen. Es wäre jetzt nach 150 Jahren und im Zuge dieser großen Reform nahe liegend, dienstrechtliche Versäumnisse der letzten Jahrzehnte nachzuholen. Vor allem wollen wir als Staatsanwälte, dass unsere Angelegenheiten nicht in diesem Bundesmitarbeitergesetz, dass derzeit im Raum steht, geregelt werden. Das würde eine krasse Abwertung des Berufes mit sich bringen und damit auch eine Abwertung der Justiz insgesamt.

Sie würden sich also eine Verankerung der Staatsanwaltschaft in der Verfassung wünschen?

Ja, das ist notwendig. Die Verfassung kennt in diesem Zusammenhang nur Gerichte und Verwaltungsbehörden. Wir sind aber weder Gericht, noch Verwaltungsbehörde, denn wir verwalten nichts – außer uns selbst. Als Staatsanwaltschaften sind wir ein wichtiger Teil der Justiz, ohne selbst Gerichte zu sein. Wir Staatsanwälte leisten eine den Richtern ähnliche und ihnen gleichwertige Tätigkeit – nur unter etwas anderen Voraussetzungen.

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