Für o.Univ.-Prof. Dr. Peter J. Schick, Institut für Strafrecht, Strafprozessrecht und Kriminologie an der Karl-Franzens-Universität Graz, wertet das Strafprozessreformgesetz die Staatsanwaltschaft massiv auf. Eine Sicht aus der Lehre.
Die Staatsanwaltschaft fungiert einerseits als Justizeinrichtung, andererseits wird sie staatsrechtlich als Verwaltungsbehörde geführt. Wie beurteilen Sie die derzeitige Stellung der Staatsanwaltschaft im österreichischen Rechtssystem?
Für o.Univ.-Prof. Dr. Peter J. Schick, Institut für Strafrecht, Strafprozessrecht und Kriminologie an der Karl-Franzens-Universität Graz, wertet das Strafprozessreformgesetz die Staatsanwaltschaft massiv auf. Eine Sicht aus der Lehre.
Die Staatsanwaltschaft fungiert einerseits als Justizeinrichtung, andererseits wird sie staatsrechtlich als Verwaltungsbehörde geführt. Wie beurteilen Sie die derzeitige Stellung der Staatsanwaltschaft im österreichischen Rechtssystem?
So lange die Staatsanwaltschaft ausschließliche Anklägerfunktion – die Vertretung des Staates, um den Strafanspruch des Staates zu realisieren – inne gehabt hat, war die Stellung der Staatsanwaltschaft als Verwaltungsbehörde kein Problem. Mit dem Wandel ihrer Funktion beginnt aber die Problematik Verwaltungsbehörde einerseits und Justizeinrichtung andererseits virulent zu werden.
Welche neuen Funktionen meinen Sie konkret?
Die Staatsanwaltschaft hat im neuen Vorverfahren der Strafprozessordnung – dem wichtigsten Teil des Prozesses überhaupt – eine leitende Rolle übernommen. Alle Funktionen des bisherigen Untersuchungsrichters gehen auf die Staatsanwaltschaft über und gemeinsam mit der Kriminalpolizei sind die Staatsanwälte ab 2008 die Organe des Vorverfahrens. Was noch wichtiger ist: Die Staatsanwaltschaft übernimmt richterliche Funktionen, indem sie seit Jänner 2000 die Möglichkeit eingeräumt bekommen hat, durch die Diversion auch verfahrensbeschließende Entscheidungen herbeizuführen. Die Staatsanwälte selbst – und nicht die Richter – können dadurch das Verfahren gegen eine gewisse Leistung des Verdächtigen beenden. Dies kann entweder in einer Geldbuße, einer Anordnung gemeinnütziger Arbeiten, einer Verhängung einer Probezeit oder einem außergerichtlichen Tatausgleich bestehen.
Die neue Rollenverteilung ist im Strafprozessreformgesetz festgehalten. Ist dies aus der Sicht der Lehre überfällig?
Die Reform ist mit Sicherheit überfällig, da die jahrzehntelange Praxis des Vorverfahrens nunmehr auch im Gesetz festgeschrieben wurde.
Was sind die einschneidendsten Veränderungen?
Der Staatsanwalt hat zwar bei den Vorerhebungen schon immer eine gewisse leitende Funktion inne gehabt hat, die eigentliche Arbeit wurde jedoch von der Kriminalpolizei ausgeübt. Laut der Reform müssen Staatsanwaltschaft und Kriminalpolizei diese nun gemeinsam durchführen. Die Staatsanwaltschaft fungiert als Leiterin und ist alleiniger Ansprechpartner, der die Vorerhebungen vorantreibt und Weisungsvorrang hat. Dieses Reformgesetz wertet die Staatsanwälte massiv auf, da es sie an eigentliche, richterliche Justizbehörden weiter annähert. Ein großer Vorteil ist auch, dass die Sicherheitsbehörden nunmehr dem Regime der Strafprozessordnung unterliegen, sofern sie Ermittlungen für die Staatsanwaltschaft übernehmen. Ein weiterer gewaltiger Fortschritt ist die Verbesserung der Stellung des Opfers im Strafverfahren.
Durch diese zusätzlichen Funktionen im Vorverfahren werden mehr Staatsanwälte benötigt. Könnte es dabei zu einer Art Rekrutierungsproblem kommen?
Es wird einen erheblichen Mehrbedarf an Staatsanwälten geben, der teilweise – bis zu einem Drittel – durch ein Überwechseln von Untersuchungsrichtern zur Staatsanwaltschaft abgedeckt werden soll. Neuanstellungen werden sicher notwendig, wobei die Finanzierung zu klären sein wird.
Inwieweit wird die Lehre in die Ausarbeitung solcher Reformen eingebunden?
Der gegenseitige Austausch mit dem Bundesministerium für Justiz funktioniert bestens. Es besteht engste Zusammenarbeit zwischen den legistischen Entscheidungsträgern und allen Fakultäten und strafrechtlichen Instituten. Ob Innsbruck, Graz, Linz oder Wien – wir werden immer eingebunden. Auch in Beratungen der parlamentarischen Justizausschüsse werden Universitätslehrer als Experten eingeladen.
Sie haben es selbst bereits kurz angesprochen. Die Staatsanwälte führen ihre Tätigkeit zunehmend mit richterlichem Selbstverständnis aus. Soll das Dienstrecht der Staatsanwaltschaft dem der Richterschaft angepasst werden?
Für mich ist das eine unbedingte Notwendigkeit. Wenn wir schon eine Angleichung der Funktionen der Staatsanwälte und Richter im Gesetz vorgegeben haben, sollen auch die Staatsanwälte alle Privilegien eines Richters bekommen: die völlige Unabhängigkeit, geschützt durch Unversetzbarkeit, Unabsetzbarkeit und Weisungsungebundenheit. Zwischen Richter und Staatsanwälten besteht eine gewisse Durchlässigkeit. In diesem Zusammenhang fände ich es sehr gut, wenn vermehrt ein personeller Austausch zwischen Staatsanwaltschaft und Richterschaft erfolgen würde. Warum soll z.B. ein Staatsanwalt nach zehn Jahren nicht in die Richtertätigkeit wechseln und umgekehrt?
Stichwort Weisungsgebundenheit. Wie problematisch ist das Weisungsrecht, dem die Staatsanwälte in ihrer Tätigkeit unterliegen?
Natürlich ist es ein – vielleicht allerdings nur – optisches Manko, dass die Weisungshierachie von der Staatsanwaltschaft über die Oberstaatsanwaltschaft schlussendlich zum Justizministerium reicht. Weisungsgeber ist der Justizminister – das oberste Verwaltungsorgan, das jedoch politisch agiert. Genau dort liegt die Gefahr, dass das Strafverfahren durch das Weisungsrecht politisch beeinflusst werden könnte. Wir haben derzeit zwar ein Weisungsrecht, das formal vom Justizminister ausgeht. In Wirklichkeit wird dies in dieser politischen Art jedoch nie ausgeübt, sondern von einer eigenen Sektion – einer Verwaltungsbehörde – des Justizministeriums übernommen. Nur sehr heikle Fälle sind in der Regel berichtspflichtig, in die beispielsweise Politiker verwickelt sind und der Staatsanwalt von sich aus nicht alleine entscheiden darf.
Wie wichtig ist eine Verankerung der Staatsanwaltschaft in die österreichische Verfassung?
Von einem rechtsstaatlichen Sicherheitsstandpunkt aus ist eine weitere Verankerung der Staatsanwälte im Abschnitt Justiz der österreichischen Bundesverfassung notwendig. Das Anklageprinzip ist darin bereits verankert, die richterlichen Privilegien müssten noch auf die Staatsanwälte umgeschrieben werden. Ich würde eine diesbezügliche Reform des Bundes-Verfassungsgesetzes sehr begrüßen. Voraussetzung dafür ist eine Zweidrittelmehrheit der Stimmen im Parlament, die durch die neue große Koalition gegeben wäre.
Bis wann wäre diese Verankerung für Sie realistisch?
Angesichts der Mehrheitskoalition wäre in dieser Legislaturperiode der ideale Zeitpunkt gegeben. Hochrangige Parlamentarier haben zu dieser Thematik bereits Gesetzesvorschläge ausgearbeitet. Diskussionen des Justizausschusses im Parlament sind meines Wissens derzeit im Gange, wo bereits eine sehr breite Übereinstimmung der Meinungen zur verfassungsrechtlichen Verankerung der Staatsanwaltschaft besteht.