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Vom Weisungsrecht und von den Chancen und Gefahren eines Generalstaatsanwaltes (Quelle: RZ 2021, 63)

Thomas Mühlbacher[1]

Vom Weisungsrecht und von den Chancen und Gefahren eines Generalstaatsanwaltes

 

  1. Definition der Weisung und Ausgangslage

Eine Legaldefinition des Weisungsbegriffs fehlt sowohl im österreichischen als auch im deutschen Recht. Der ehemalige Präsident des deutschen Bundesgerichtshofs Walter Odersky[2] erkannte in seinem 1984 erschienen Beitrag zur Festschrift für Karl Bengl eine Weisung im Einzelfall daran, dass „der Vorgesetzte durch seine Anweisung bewirkt (und die Verantwortung dafür übernimmt), dass der nachgeordnete Beamte anders handelt, als er es von sich aus (ohne Weisung) tun würde“. Diese Definition enthält Unschärfen, die heute nicht mehr tolerierbar sind und in Österreich mit dem StAG 1986 auch weitgehend behoben wurden. So ist es heute unstrittig, dass nicht jedes auf eine Vorhabensänderung abzielende Verhalten des Vorgesetzten eine Weisung zur Sachbehandlung darstellt. Diesbezüglich enthalten die §§ 29 und 29a StAG die gesetzliche Festschreibung der von der vorgesetzten Behörde („externe Weisung“) einzuhaltenden Form und die gesetzliche Garantie der Nachvollziehbarkeit der Weisung für das Gericht und die Beteiligten des Verfahrens. In der Kritik oft bemühte „Wünsche“ oder ein „In Erwägung stellen einer alternativen Vorgangsweise“ sind dem Gesetz fremd und daher unbeachtlich. Die gesetzliche Festschreibung (§ 8a Abs 2 StAG) von unnötigen und potentiell missbrauchsanfälligen Weisungen, die sich auf bloße Aufträge zur Beseitigung von Unvollständigkeiten der vorgelegten Berichte beschränken und für die die Formvorschriften des § 29 StAG nicht gelten, hat die bereits erreichte Klarheit aber wieder verwässert.

Mit dem Strafprozessreformbegleitgesetz II[3] wurden die Bestimmungen über das Berichtswesen und das Weisungsrecht durch Unterscheidung interner (innerhalb der Staatsanwaltschaften) und externer Weisungen (im Wege der Bundesminister*in für Justiz) klarer strukturiert. Das Erfordernis der Schriftlichkeit und die Verpflichtung, Weisungen jedenfalls dem (Ermittlungs-)Akt anzuschließen, sollte umfassende Transparenz herstellen. Die parlamentarische Kontrolle der Ausübung des Weisungsrechts wurde durch eine – mittlerweile auch eingehaltene – jährliche Berichtspflicht über durch die Bundesminister*in für Justiz erteilte Weisungen an Nationalrat und Bundesrat ausgebaut. In dem nach § 29a Abs 3 StAG zu erstattenden Weisungsbericht sind nunmehr auch jene Äußerungen des Weisungsrats aufzunehmen, denen der Bundesminister für Justiz im Ergebnis nicht Rechnung getragen hat, wobei die abweichende Vorgangsweise zu begründen ist. Dieser Bericht wird sowohl auf der Homepage des Bundesministeriums für Justiz als auch auf jener des Parlaments veröffentlicht und ist daher allgemein zugänglich.

Auch der Weisungsrat kann seine Äußerung veröffentlichen (§ 29b Abs 6 StAG). Schließlich besteht u.a. in Fällen der Einstellung des Ermittlungsverfahrens nach dem 10. oder 11. Hauptstück der StPO die Möglichkeit über Anordnung der Oberstaatsanwaltschaft Einstellungsbegründungen in der Ediktsdatei zu veröffentlichen.

Namentlich mit der Verpflichtung, die Weisung bzw. das Protokoll über die Dienstbesprechung, in der eine Weisung erteilt wurde dem (Ermittlungs-) Akt anzuschließen, wodurch sie – noch im laufenden Verfahren – dem Gericht und den Verfahrensbeteiligten zugänglich werden, bewirkt § 29 Abs 3 StAG eine Offenlegung interner Entscheidungsvorgänge, die den Gerichten, deren Beratungsprotokolle nicht von der Akteneinsicht umfasst sind, nicht abverlangt wird. Zumindest in der Frage der Transparenz kann eine Reformdiskussion also mittlerweile von einem sehr hohen Niveau ausgehen. Eine Steigerung erscheint kaum möglich.

Das Unbehagen, das Eberhard Schmidt 1960 dahingehend definierte, „dass es mit dienstlichen Weisungen eine fragwürdige Bewandtnis haben kann, die das Licht der Öffentlichkeit gegebenenfalls zu scheuen haben“[4], ist – wie die Erfahrung lehrt – dennoch nicht verschwunden.

 

  1. Legalitätsprinzip und Einschränkung des Weisungsrechts

Die Antrittsvorlesung von R. Seiler an der Universität Salzburg vom 7. März 1967[5] wird oft auf ein Plädoyer für eine „Weisungsteilung“ reduziert. Demnach soll die Weisungsgebundenheit des Staatsanwalts zwar nicht vollkommen aufgehoben, aber auf die Weisung zur Anklageerhebung beschränkt werden. R. Seiler nimmt insoweit Bezug auf einen damals aktuellen Vorschlag des Deutschen Richterbundes zur Neufassung des § 146 dGVG, den er zwar für beachtenswert hält, gleichzeitig aber einräumt, dass die Schaffung eines derartigen weisungsfreien Bereiches so lange nicht auszureichen vermag, als die Möglichkeit besteht, den einzelnen Staatsanwalt im Wege der Substitution oder Devolution von der Strafsache auszuschließen und durch einen anderen zu ersetzen, von dem zu erwarten ist, dass er die Auffassung der übergeordneten Behörde teilt. Unter solchen Voraussetzungen könnte die partielle Weisungsfreiheit ihre Wirksamkeit nicht entfalten.[6] § 2 Abs 2 S 3 StAG unterstreicht zwar nunmehr, dass sich die Devolutions- und Substitutionsbefugnis auf Einzelfälle beschränken und nur aus schwerwiegenden Gründen[7] ausgeübt werden soll, letztlich ist sie aber der monokratisch – hierarchischen Struktur staatsanwaltschaftlicher Behörden geschuldet und kann daher nur entschärft, aber ohne grundlegende Änderung der Organisationsform nicht gänzlich beseitigt werden.

Die Staatsanwaltschaft stellt ein hierarchisch gegliedertes einheitliches Ganzes dar. Dies hat zur Folge, dass die Justizminister*in gegenüber den Oberstaatsanwaltschaften (§ 29a StAG), der Generalprokuratur (§ 2 Abs 2 S 2 StAG) und die Oberstaatsanwaltschaften gegenüber den nachgeordneten Staatsanwaltschaften (§ 29 StAG) ein Recht – und sofern sie Fehler in der Sachbehandlung feststellen wohl auch die Pflicht – zur Erteilung von Weisungen besitzen.[8] Heute unbestritten ist, dass die Staatsanwaltschaften – soweit das Gesetz nicht enge Ausnahmen vorsieht (§§ 191, 192 StPO) – an das Legalitätsprinzip gebunden sind. Auch das Weisungsrecht der vorgesetzten Behörden – einschließlich der Bundesminister*in für Justiz – darf nur unter Beachtung dieses Prinzips ausgeübt werden. Die Justizminister*in ist zwar kein staatsanwaltschaftliches Organ, käme man aber nicht zu dieser Ansicht, müsste es unverständlich bleiben, welchen Sinn es haben soll, dass die Bundesverfassung nur dem Bundespräsidenten das Recht einräumt, auf dem Wege der Abolition ein Verfahren gegen eine bestimmte Person zur Einstellung zu bringen, obgleich alle gesetzlichen Voraussetzungen für eine Anklageerhebung gegeben sind.[9]

Das Legalitätsprinzip versteht sich längst nicht mehr nur als unbedingte Vorlagepflicht strafbarer Handlungen an den erkennenden Richter, sondern als dem gesetzlichen Auftrag folgendes Erledigungsprinzip. Es verpflichtet die Staatsanwaltschaft, in der Sache die im jeweiligen Prozessabschnitt vom Gesetz verlangte Erledigungsentscheidung zu treffen. Verpflichtet das Offizialprinzip die Staatsanwaltschaft zum Tätigwerden, ordnet das Legalitätsprinzip dieses Vorgehen einem Plan unter. Es steuert die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen nach den zur Sachentscheidung vergebenen Richtlinien, dem Grundsatz der allgemeinen Gesetzmäßigkeit (§ 5 StPO) folgend.[10]

  1. Auswirkungen des StPRG auf die Weisungsdiskussion

Nach nun bald eineinhalb Jahrzehnten praktischer Erfahrung kann gesagt werden, dass die 2004 beschlossene und 2008 in Kraft getretene Vorverfahrensreform, auch und gerade was die Transparenz von Entscheidungsvorgängen und den Rechtsschutz anlangt, gelungen ist. Die verfahrensführende Staatsanwaltschaft unterliegt (erst) seither einer umfassenden Kontrolle durch die ordentlichen Gerichte, die namentlich im Wege des Einspruchs wegen Rechtsverletzung nach § 106 StPO nicht nur vom Beschuldigten, sondern auch vom Opfer und von jedem anderen Verfahrensbeteiligten aktiviert werden kann. Das vor der Reform immer wieder für die Notwendigkeit des Weisungsrechts vorgebrachte Argument, dass es eines Korrektivs gegenüber der nur sehr eingeschränkten Überprüfbarkeit von Einstellungsentscheidungen bedürfe, ist im neuen Ermittlungsverfahren durch den mit § 195 StPO eröffneten Antrag auf Fortführung bedeutungslos geworden. Vice versa bieten der Antrag auf Einstellung nach§ 108 StPO und der auch im reformierten Verfahren beibehaltene Einspruch gegen die Anklageschrift (§ 212 StPO) hinreichend Schutz gegen willkürliche Verfolgung.

Nach den Regeln der Vernunft, läge es daher nahe, auf diese zusätzliche gerichtliche Kontrolle mit der Forderung einer Lockerung des ohnedies in Verruf geratenen Weisungsrechts zu reagieren. Dass bisweilen genau das Gegenteil geschieht, zeigt, dass die Diskussion über weite Strecken von Irrationalität und Halbwissen geprägt ist.

Die Staatsanwaltschaft ist im neuen Ermittlungsverfahren sichtbarer geworden, sie verbirgt sich nicht mehr die Fäden ziehend hinter dem Untersuchungsrichter, der einst den Schild richterlicher Unabhängigkeit über das Verfahren hielt.[11] In einer Kultur, in der die Strafanzeige zunehmend als Mittel politischer Auseinandersetzung angesehen wird, macht das die Staatsanwaltschaft angreifbar. Allzu oft prügelt man den Hund und meint den Herrn. Die Tatsache, dass fast ausschließlich die Anordnung der Staatsanwaltschaft und nicht der diese bewilligende Beschluss des Gerichts Anlass der Kritik ist, lässt sich wohl auch damit erklären, dass Angriffe gegen unabhängige Richter mangels Weisungskette nicht bis zur Ressortspitze durchdringen. Diese Kette gilt es also auch für die Staatsanwaltschaft zu sprengen.

 

  1. Vertrauensdefizit und Reformbedarf

Es ist wohl nicht zu leugnen: Die Staatsanwaltschaft leidet an einem strukturellen  Vertrauensdefizit. Dessen Ursache aber auf die Weisungsgebundenheit ihrer Organe an sich zu reduzieren, greift bei weitem zu kurz. Die Arbeit der Staatsanwält*innen muss – wie die der Richter*innen – einer Qualitätskontrolle unterliegen. Die Kontrolle von richterlichen Entscheidungen obliegt aber in allen Instanzen wiederum Richtern, während sich Staatsanwälte gelegentlich mit „externen“ Weisungen konfrontiert sehen.

Brigitte Bierlein trifft mit der Erkenntnis, dass schon die schlichte Möglichkeit einer Weisung seitens des Bundesministers für Justiz Anlass zu wüsten Verdächtigungen gibt[12], den Punkt. Bei genauerer Betrachtung ist das Weisungsproblem ein Anscheinsproblem. Nicht erst der tatsächliche Missbrauch des Weisungsrechtes, sondern bereits der Anschein einer unsachlichen Einflussnahme muss unbedingt vermieden werden. Gelingt dies nicht, schadet das nicht nur dem Ansehen eines Teiles der ordentlichen Gerichtsbarkeit (Art 90a B-VG), sondern generell dem in letzter Zeit ohnedies arg ramponierten Vertrauen in den Rechtsstaat. Der Satz „justice must be seen to be done“ muss auch und vor allem im staatsanwaltschaftlichen Dienst- und Organisationsrecht seinen Niederschlag finden. Die Staatsanwaltschaft soll als das wahrgenommen werden was sie ist, als Gesetzeswächterin im Strafrecht. Reinhard Moos[13] ist nichts hinzuzufügen:

„Mit dem Gesetzeswächteramt verbindet sich der Verzicht auf die alte Konstruktion des Organs der Staatsregierung. Der ‚Anwalt des Staates‘ verkörpert nicht mehr den Macht- sondern den Rechtswillen des Staates.“

Die latente Befürchtung unsachlicher externer Einflussnahme geht auf die Entstehungsgeschichte der Staatsanwaltschaft zurück. Die Einführung der Anklagebehörden lag Mitte des 19. Jahrhunderts durchaus auch im Interesse der Landesfürsten, die dadurch ihren Einfluss auf die Strafverfolgung der nunmehr staatlichen Gerichte erhalten wollten, hatten doch auch die Inquisitionsrichter begonnen, nach Unabhängigkeit zu streben. Die Staatsanwält*innen haben sich von dieser Vorstellung längst gelöst, ihr Dienst- und Organisationsrecht hingegen nicht.

Die Staatsanwaltschaft kann ein missbrauchsanfälliger verlängerter Arm der Regierung in der rechtsprechenden Gewalt sein oder ein vor unsachlicher Einflussnahme geschützter Teil der ordentlichen Gerichtsbarkeit. Für welche dieser Alternativen sich eine Gesellschaft entschieden hat, zeigt sich an der Ausgestaltung eben jenes Dienst- und Organisationsrechts, das – wie das richterliche – in seiner Bedeutung weit über die Regelung der Verhältnisse einer Berufsgruppe im öffentlichen Dienst hinausgeht. Fast noch mehr als für jenes gilt hier das von Roxin und Schünemann für das Strafverfahrensrecht gezeichnete Bild eines Seismographen der Staatsverfassung.

 

  1. Generalstaatsanwalt, Gefahren und Alternative zur Reform

Beginnend mit dem Staatsanwaltschaftsgesetz 1986 wurden zahlreiche Schutzmechanismen gegen unsachliche Einflussnahmen auf Organe der Staatsanwaltschaft geschaffen. Von der Schriftlichkeit und dem Begründungserfordernis der Weisung bis zur Offenlegungspflicht gegenüber den Verfahrensbeteiligten wurde vieles erreicht. Durch das StPRG wurde die Kontrolle der Staatsanwaltschaft durch die ordentlichen Gerichte auf ein hohes rechtsstaatliches Niveau gehoben. Der erhoffte Erfolg ist aber nicht oder zumindest nicht im erhofften Ausmaß eingetreten. Seit nunmehr über einem Jahrzehnt anstehende Arrondierungen in StAG und RStDG allein werden daran nichts Wesentliches ändern.

Es bedarf daher eines mutigen Schrittes. Ein solcher – und vermutlich der einzig sinnvolle – wäre der Übergang der Weisungsspitze auf einen Generalstaatsanwalt allemal. Dieses Unterfangen verbirgt aber auch eine Reihe von Gefahren und will daher gut überlegt sein, damit der Schuss nicht nach hinten losgeht.

Zuallererst muss gelten: Der Generalstaatsanwalt ist Staatsanwalt im Sinne des Art 90a S 1 B-VG.

Der Status eines in der Diskussion immer wieder angedachten „politischen Beamten“ nach deutschem Vorbild, der dort[14] heftiger Kritik ausgesetzt ist, widerspricht dem Wesen eines Organs der ordentlichen Gerichtsbarkeit diametral. Von einem „politischen Beamten“ wird nämlich verlangt, in fortdauernder Übereinstimmung mit den grundsätzlichen politischen Ansichten und Zielen der Regierung zu stehen, was mit der staatsanwaltschaftlichen Verpflichtung zur Objektivität und mit der amtswegigen Wahrheitserforschung nicht vereinbar ist. Für die Umsetzung von Regierungsentscheidungen, die sich im Rahmen von Recht und Gesetz halten, ist dies auch nicht erforderlich.

Der besonderen Stellung der Staatsanwälte als Organe der ordentlichen Gerichtsbarkeit wird in deren Dienstrecht unter anderem auch dadurch Rechnung getragen, dass ein Staatsanwalt (gleich einem Richter) auf eine bestimmte Planstelle bei einer bestimmten staatsanwaltschaftlichen Behörde ernannt wird, während die Planstelle eines Beamten der Allgemeinen Verwaltung nur einem Planstellenbereich zugeordnet ist. Es ist nicht einzusehen, warum das ausgerechnet für den Generalstaatsanwalt nicht gelten sollte.

Eine Abnabelung von der Regierung stellt aber noch keine Unabhängigkeit im angestrebten Sinne dar. Dazu gehört auch, dass eine parlamentarische Kontrolle nur eine nachprüfende sein kann, im laufenden Verfahren soll die Kontrolle der Sachbehandlung nach den Regeln der StPO durch die ordentlichen Gerichte erfolgen. Der Geruch unsachlicher Einflussnahme wird sich nie verflüchtigen, solange parlamentarische Anfragen über das beabsichtigte Vorhaben der Staatsanwaltschaft in einem anhängigen Verfahren zum Gegenstand haben.

Mit der B-VG Novelle BGBl I 2008/2 wurde die Zugehörigkeit der Staatsanwälte zur ordentlichen Gerichtsbarkeit vom Verfassungsgeber in Art 90a B-VG klargestellt und ihnen die Wahrnehmung der Ermittlungs- und Anklagefunktionen[15] in Verfahren wegen mit gerichtlicher Strafe bedrohten Handlungen zugewiesen. Während die beiden ersten Sätze des Art 90a B-VG mittlerweile kaum mehr Anlass zu Diskussionen geben, ist die Bedeutung des auf den ersten Blick unnötigen dritten Satzes (Durch Bundesgesetz werden die näheren Regelungen über ihre Bindung an die Weisungen der ihnen vorgesetzten Organe getroffen.) nach wie vor von einer geheimnisvollen Aura umgeben.[16] Die Lösung ist indessen erstaunlich profan: Es sollte eine lex specialis zu Art 20 Abs 1 B-VG geschaffen werden.

Die Standesvertretung der Staatsanwälte hatte die Weisungsfrage in den Verhandlungen um die Begleitmaßnahmen zum StPRG bewusst ausgeklammert, um andere Verhandlungsziele, namentlich die Verankerung in der Verfassung, das gemeinsame Dienstrecht mit den Richtern im RStDG und die Personalhoheit der Oberstaatsanwaltschaften über die Beamten und Vertragsbediensteten (§ 1 Z 4 DVPV-Justiz) nicht zu gefährden. Hier hatte sich ein enges Zeitfenster politischer Realisierbarkeit eröffnet. Über das Weisungsrecht sollten die Gespräche hingegen weitergeführt und zeitnah ein mehrheitsfähiges Modell erarbeitet werden[17].

Mit der erwähnten B-VG Novelle trat nun auch eine Änderung des Art 20 Abs 2 B-VG in Kraft, durch die bestimmte Organe von der Bindung an Weisungen der ihnen vorgesetzten Organe freigestellt werden können. Dies allerdings um den Preis, dass die zuständigen Ausschüsse des Nationalrates und des Bundesrates befugt sind, die Anwesenheit des Leiters eines gemäß Art 20 Abs 2 weisungsfreien Organs in den Sitzungen der Ausschüsse zu verlangen und diesen zu allen Gegenständen der Geschäftsführung zu befragen (Art 52 Abs 1a B-VG).

Da eine laufende parlamentarische Kontrolle von Organen der ordentlichen Gerichtsbarkeit nicht in Frage kam, wurde mit Blick auf die ungelöste Weisungsfrage eine sachgerechte eigenständige Lösung durch die Herausnahme der Weisungsgebundenheit aus dem auf Verwaltungsbehörden rekurrierenden Art 20 B-VG und deren Festschreibung in Art 90a S 3 B-VG – der ansonsten ja nicht notwendig gewesen wäre – ermöglicht.[18]

Art 52 Abs 1 B-VG bezieht sich ausdrücklich auf die Geschäftsführung der Bundesregierung, werden weisungsfreie Einrichtungen geschaffen, fällt konsequenterweise mit der Ingerenz der Bundesregierung bzw. der Bundesminister auch die parlamentarische Kontrolle weg; die Art 52ff B-VG schließen das nicht aus und regeln insbesondere keine Schranken für den Entfall des Weisungsrechts.[19]

Es ist hoch an der Zeit, die jahrzehntelange Diskussion in einen beherzten Gesetzgebungsakt münden zu lassen. Die Alternative ist nämlich nicht, dass nichts geschieht und alles beim Alten bleibt; die Alternative ist eine zunehmende Schwächung des Vertrauens in die Staatsanwaltschaft und die Strafjustiz. Das könnte sich angesichts vermehrt aufkommender, rechtsstaatliche Einrichtungen schlichtweg ablehnender Strömungen als fatal erweisen.

[1] Univ. Prof. Dr. Thomas Mühlbacher ist Leiter der Staatsanwaltschaft Graz und lehrt am Institut für Strafrecht, Strafprozessrecht und Kriminologie der Universität Graz.

[2] Odersky, Staatsanwaltschaft, Rechtspflege und Politik, in FS Bengl (1984) 57ff.

[3] BGBl I 2007/112; RV 299 BlgNR 23. GP.

[4] Schmidt, Lehrkommentar zur Strafprozeßordnung und zum Gerichtsverfassungsgesetz III (1960) 193.

[5] R. Seiler, Legalitätsprinzip und Weisungsrecht im Strafprozess (1968).

[6] R. Seiler, Legalitätsprinzip 34.

[7] Die Formulierung „aus schwerwiegenden Gründen“ stellte einen Kompromiss zwischen den in den Initiativanträgen zum StAG gewählten Formulierungen, dass der Leiter einer Staatsanwaltschaft mit der Wahrnehmung einer Amtsverrichtung ein anderes als das nach der Geschäftsverteilung zuständige Organ nur aus zwingenden (und nicht etwa bloß wichtigen oder Gründen der Zweckmäßigkeit) bzw. aus „wichtigen Gründen“ betrauen darf. Zum Ganzen siehe: Mühlbacher, Staatsanwaltschaftsgesetz. Dienst- und Organisationsrecht der Staatsanwaltschaft in StAG, DV-StAG, RStDG (2018) § 2 StAG Rz 2-4.

[8] Daraus ergibt sich im Übrigen auch, dass eine direkte Weisung des/der Justizminister*in an eine Staatsanwaltschaft oder gar an einen bestimmten Staatsanwalt im Gesetz nicht vorgesehen ist.

[9] R. Seiler, Legalitätsprinzip 26.

[10] Tauschmann in Schmölzer/Mühlbacher, StPO 1 § 4 Rz 5 unter Bezugnahme auf E. Steininger, Die Neuorientierung des strafprozessualen Legalitätsprinzips, JBl 1986, 292-294.

[11] Vgl Mühlbacher, Ist die Reform des Ermittlungsverfahrens umkehrbar? RZ 2011, 104.

[12]Bierlein, Wer bewacht den Staatsanwalt? RZ 2002, 49.

[13] Moos, Wozu brauchen wir Staatsanwälte? JSt 2011, 78.

[14] Zusammenfassend: Krebs, Die Weisungsgebundenheit des Staatsanwalts unter besonderer Berücksichtigung des rechtstatsächlichen Aspekts (2002) 155-162.

[15] Anklagefunktionen heißt in diesem Zusammenhang nicht nur die Erhebung und Vertretung der Anklage, sondern generell die Disposition über dieselbe, also auch die Einstellung des Verfahrens oder der Verzicht auf die Anklage zugunsten der Diversion.

[16] Vgl dazu die Aufzählung bei Schick, Art 90a B-VG: Eine verfassungsrechtliche Hybridisierung der Staatsanwaltschaft? in FS Walter (2013) 720f.

[17] Dieses Vorhaben geriet durch zahlreiche folgende Ministerwechsel ebenso wie eine aufgrund des Zeitdrucks nicht mehr mögliche Arrondierung des RStDG ins Stocken.

[18] Vgl Thienel, Die Stellung der Staatsanwälte nach Art 90a B-VG – eine Zwischenbilanz, FS Walter (2013) 839f. Entgegen seiner Vermutung lag der Grund für die Bestimmung also nicht in der verfassungsrechtlichen Absicherung des Bundesministers für Justiz als Weisungsspitze. Zwischen Verwaltungsbehörden und Organen der ordentlichen Gerichtsbarkeit unterscheidet in diesem Zusammenhang auch Schmoller, (Wie soll das staatsanwaltschaftliche Weisungsrecht in Zukunft gestaltet werden? JSt 2011, 79) und tritt demgemäß für eine analoge Anwendung des Art 20 Abs 2 B-VG für die Staatsanwälte ein.

[19] Thienel in FS Walter 840, der damit der Auffassung von Storr, (Der Staatsanwalt als Organ der Gerichtsbarkeit, ZÖR 2010, 283f) und ders, (Von der hierarchischen Ordnung und der Kontrolle der Staatsanwälte, RZ 2010, 275f) entgegentritt und ein verfassungsrechtliches Gebot der Eröffnung parlamentarischer Kontrolle verfassungsdogmatisch nur dann als begründbar erachtet, wenn mit der Weisungsfreistellung der StA ein quantitativ so umfangreicher Teil der Vollziehung von der parlamentarischen Kontrolle ausgenommen würde, dass dies mit dem demokratischen Prinzip nicht mehr vereinbar ist.

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