(Übergabe des Preises an DI Werner Winterstein durch Präsidentin Mag. Cornelia Koller)

Auszug aus der Laudatio zur Verleihung des Wolfgang Swoboda Preises 2019, der im Rahmen des Festaktes zum 100-jährigen Bestehen der Vereinigung am 23.5.2019 übergeben wurde:

„Am 13. Mai 1919 wurde in Wien der „Verein deutsch-österreichischer Staatsanwälte“ gegründet. Der spätere Generalprokurator und Justizminister HR Dr. Robert Georg WINTERSTEIN war ab 1927 Vereinsobmann und von 1931 bis 1933 dessen erster Präsident .

Die politische Situation war damals – harmlos ausgedrückt – schwierig. 1932 wurde er zum Generalprokurator ernannt. In dieser Funktion war er nach dem Juliputsch 1934 und der Ermordung von Bundeskanzler Engelbert DOLLFUSS für die Aufklärung dieser Straftaten verantwortlich. Sein Dilemma: Einerseits hat ihn die Regierung unter Druck gesetzt. Sie wollte schnelle und drakonische Strafen für die Täter. Gleichzeitig gab es auch bereits deutliche Signale aus höchsten Kreisen der NSDAP: Eine umfassende Aufklärung des Sachverhaltes sei nicht erwünscht.
Ein Dilemma, in das ein Staatsanwalt in einem funktionierenden Rechtsstaat nicht kommen darf.
Staatsanwaltschaftliche Entscheidungen dürfen nie jemandem „gefallen müssen“ und ein Staatsanwalt darf schon gar nicht in die Versuchung geraten, durch eine Entscheidung jemandem „gefallen zu wollen“. Thomas MÜHLBACHER meinte einmal: „Unser Beruf ist ein applausfeindlicher und das ist gut so – denn Beifall kann auch von der „Eselsbank“ kommen.“
Unsere Aufgabe: Sachverhalte objektiv aufklären und auf ihre strafrechtliche Relevanz prüfen. Wir sind in unseren Entscheidungen einzig und allein dem Recht verpflichtet.
Das ist eine große Verantwortung. Für jeden einzelnen. Und dessen sind wir uns auch bewusst.
Wir gehen mit den uns vom Gesetz eingeräumten Befugnissen sorgsam um. Aber wir nützen sie, wann immer es zur Aufklärung von Straftaten erforderlich und geboten ist – unabhängig von Position, Macht oder gesellschaftlicher Stellung des Beschuldigten. Dabei entscheiden wir aus eigener Überzeugung dem Gesetz entsprechend. Wir stehen für die Sache.
Auch Robert WINTERSTEIN entschied sich für die Sache. Die Ermordung eines Menschen ist ein strafrechtliches Delikt. Und ist es die Aufgabe der Staatsanwaltschaft, dieses aufzuklären. Auch wenn das politisch nicht gefällt, in seinem Fall noch schärfer: politisch nicht erwünscht ist!
Die Verfahren wurden abgeschlossen und als sich die politische Lage zuspitzte und Österreich an das Deutsche Reich angeschlossen wurde, erkannte Robert WINTERSTEIN, dass ihn die Funktion als Generalprokurator in Lebensgefahr bringt.
Mehrfachen Warnungen zum Trotz entschied er sich aber, in Österreich zu bleiben und beantragte am 12. März 1938 seine Pensionierung. Er hoffte, sich durch den Rückzug ins Privatleben aus der Schlusslinie zu nehmen. Diese Hoffnung verpuffte jedoch bereits am nächsten Tag.
In der Nacht zum 14. März 1938 wurde er als einer der ersten festgenommen und letztendlich in das Konzentrationslager Buchenwald verbracht, wo er am 13. April 1940 erschossen wurde – offiziell wegen seiner jüdischen Herkunft. Er war zwar schon lange zuvor aus der jüdischen Gemeinde aus- und in die katholische Gemeinde eingetreten, doch da man aus der jüdischen Religion nicht austreten kann, galt er im Sinne des Reichsbürgergesetzes 1933 als Volljude.
Aber es ist klar, dass es hier in erster Linie um Rache an einem Staatsanwalt ging: Rache für staatsanwaltschaftliches Handeln, das seitens der damaligen Politik lieber unterbunden worden wäre.
Etwa zeitgleich wurden zahllose weitere Vertreter der Justiz deportiert – darunter auch der Staatsanwalt aus der ersten Instanz im Prozess um den Dollfuss-Mord.
Der Fall Robert WINTERSTEIN zeigt, dass Menschen, die die alleinige Macht in einem Staat übernehmen wollen, als erstes Justiz und Medien ausschalten und mit ihren Anhängern infiltrieren müssen. Nur wenn sie diese beiden Institutionen in ihrem Machtbereich wissen, gelingt es ihnen, vollständige Kontrolle über einen Staat und seine Bevölkerung zu erlangen.
Das zeigt uns die Geschichte, das zeigen uns leider auch einige aktuelle Entwicklungen auf der ganzen Welt und derzeit auch in Österreich selbst. Die in Österreich verfassungsmäßig garantierte Gewaltenteilung ist ein Grundpfeiler, auf dem Demokratie und Rechtsstaatlichkeit stehen. Dabei müssen die drei Säulen unabhängig voneinander tätig sein und einander wechselseitig kontrollieren. Nur so kann die Sicherheit und Freiheit jedes einzelnen Bürgers, jeder einzelnen Bürgerin gewährleistet werden.

Robert WINTERSTEIN stand mit seiner Arbeit genau für diese Unabhängigkeit und Festigkeit der Justiz. Es war ihm wichtig, dass sich die Öffentlichkeit auf objektive und nur dem Sachverhalt verpflichtete Entscheidungen verlassen konnte. Das hat er letztendlich mit seinem Leben bezahlt.
Wir haben uns daher entschieden GP iR HR Dr. Robert WINTERSTEIN posthum den Wolfgang-Swoboda-Preis für Menschlichkeit im Strafverfahren zu verleihen.
Um einerseits mit Nachdruck zu betonen, wie wichtig seine Arbeit für den Stand war, andererseits aber auch die Wichtigkeit genau dieser Werte aufzuzeigen und zu betonen: Unabhängigkeit und Mut zur freien Entscheidung.
Robert WINTERSTEIN ist leider nicht mehr unter uns. Ich hoffe aber, dass dieser Preis hilft, seine Geschichte weiter zu tragen und seinen Geist so im Bewusstsein aller Staatsanwältinnen und Staatsanwälte zu halten.
Ich freue mich, dass sein Enkel DI Werner WINTERSTEIN diese Veranstaltung heute mit seiner Anwesenheit beehrt und den Preis stellvertretend für seinen Großvater in Empfang nimmt.“

Wien, am 23.5.2019

Cornelia Koller