Entwurf eines Bundesgesetzes, mit dem das Strafgesetzbuch, die
Strafprozessordnung 1975, das Staatsanwaltschaftsgesetz und das
Gerichtsorganisationsgesetz zur Stärkung der strafrechtlichen
Kompetenz geändert werden
(strafrechtliches Kompetenzpaket –sKp)
Entwurf eines Bundesgesetzes, mit dem das Strafgesetzbuch, die
Strafprozessordnung 1975, das Staatsanwaltschaftsgesetz und das
Gerichtsorganisationsgesetz zur Stärkung der strafrechtlichen
Kompetenz geändert werden
(strafrechtliches Kompetenzpaket –sKp)
Die Vereinigung Österreichischer Staatsanwältinnen und Staatsanwälte (im Folgenden: VdStA) erstattet zum angeführten Gesetzesentwurf nachstehende Stellungnahme:
I. Allgemeines:
Die VdStA fordert seit Jahren die verbesserte Bekämpfung gerade auch der
Wirtschaftskriminalität durch verstärkte Aus- und Fortbildung, Vermehrung der
Planstellen bei Staatsanwaltschaften und Gerichten und durch den Einsatz von
Experten und anderem unterstützenden Personal (staatsanwaltschaftliche
AssisstentInnen). Weiters erachten wir die Verbesserung der Transparenz justizieller
Tätigkeit gerade aufgrund der (justizkritischen) Diskussionen der letzten Jahre für
notwendig. Die vorgeschlagenen Änderungen des Verfalls decken sich überdies in
weiten Bereichen mit unseren (alten) Forderungen.
Der vorliegende Entwurf kann in einigen Aspekten dieser drei wesentlichen
Punkte als gelungen bezeichnet werden. Zum Teil sind die vorgeschlagenen
Änderungen nicht weitgehend genug; zum Teil sind sie geradezu eklatant
kontraproduktiv und gehen an den Bedürfnissen der am Strafverfahren beteiligten
Personen weit vorbei.
II. Im Besonderen:
1. Zu Verfall und Einziehung:
Die vorgeschlagenen Änderungen im materiellen Recht (vor allem die
Einführung des Bruttoprinzips) entsprechen weitgehend den bestehenden
Forderungen der VdStA; die Änderungen des formellen Rechts und der Organisation
(vor allem der Staatsanwaltschaften) gehen jedoch nicht weit genug: Die
Europäischen Erfolgsmodelle bei der verstärkten Bekämpfung der Kriminalität durch
Abschöpfung bzw. Einziehung sind in England und Wales, den Niederlanden und
einzelnen deutschen Bundesländern zu finden. In diesen Ländern wurde teils eigene
Staatsanwaltschaften (teils auch nur Abteilungen bei den bestehenden) geschaffen,
die sich voll und ganz darauf konzentrieren, gerade (aber nicht ausschließlich) die
Organisierte Kriminalität dadurch zu treffen, dass man ihr die Produkte und die
Instrumente ihres verbrecherischen Tuns abnimmt. Diese Staatsanwaltschaften
arbeiten in ihrem abgegrenzten Bereich parallel zu den herkömmlichen
Staatsanwaltschaften, die sich weiterhin (und unbelastet durch die zusätzliche
Tätigkeit) um den engeren Kern der Strafverfolgung kümmern. So deckt etwa die vor
mehreren Jahren mit zusätzlichen Planstellen und Budgetmitteln gegründete
Spezialbehörde in England und Wales ihre Kosten selbst. Auch nach Zahlung von
Entschädigungen an Opfer (die sonst kaum zu ihrem Geld gekommen wären)
verbleiben hohe Überschüsse für den allgemeinen Haushalt. Diese Institution ist
somit für den Staat ein gewinnbringendes Geschäft, das nebenbei die Zufriedenheit
vieler Opfer steigert und die Belastung der übrigen Staatsanwaltschaften mit dieser
Zusatzaufgabe senkt. Der vorliegende Entwurf bleibt im Vergleich dazu auf halbem
Weg stecken: Die Ausweitung der materiellrechtlichen Bestimmungen bei insgesamt
gleichbleibendem Personalstand lässt keine bedeutende Ausweitung von Verfall und
Einziehung erwarten.
Im Übrigen lässt die Ausdehnung des Verfalls nach § 26 Abs 1 Z 2 StPO (die
grundsätzlich begrüßt wird) einen erheblichen personellen, vor allem aber
kostenmäßigen Mehraufwand bis zur rechtskräftigen Entscheidung erwarten: So
ergeben sich bereits heute bei sichergestellten Fahrzeugen erhebliche
Verwahrungskosten, die mitunter den Wert der Fahrzeuge übersteigen. Die
vorgeschlagene Ausweitung würde dazu führen, dass etwa Fahrzeuge, mit denen
Menschen geschleppt oder Suchtmittel oder Zigaretten geschmuggelt wurden, auch
dann dem Verfall unterliegen, wenn sie nicht eigens dafür umgebaut wurden. Da die
Kriminalpolizei schon heute in aller Regel keine geeigneten Abstellplätze für solche
Fahrzeuge zur Verfügung stellen kann, müssen gewerbliche Unternehmen dafür
bezahlt werden. Wir regen daher erweiterte Bestimmungen zur vorzeitigen
Verwertung aller sichergestellten Gegenstände an, deren Verwahrungskosten das
knappe Justizbudget massiv belasten.
2. Zu den „Wirtschaftskompetenzzentren“:
Die vorgeschlagene Konzentration an vier Standorten wird von der Mehrheit
der Österreichischen StaatsanwältInnen abgelehnt, da einer überschaubaren
Effizienzsteigerung die weitere Abwertung ländlicher Staatsanwaltschaften und ein
Anstieg an Zuständigkeitskonflikten gegenübersteht. Schon die Bezeichnung als
„Kompetenzzentrum“ (die dem Sprachgebrauch des Sanitärgroßhandels entlehnt
sein könnte und keinesfalls dem Bild einer seriösen Justiz entspricht) lässt im
Umkehrschluss auf die Inkompetenz der übrigen Staatsanwaltschaften (und
Gerichte) schließen. Dass die verbleibenden zwölf „gewöhnlichen“ Standorte auch
bei Umsetzung dieses Plans mit bedeutsamen Wirtschaftsstrafsachen bis zu € 5 Mio.
befasst wären, zeigt einen Teil der Problematik auf. Das derzeitige Modell der
Oberstaatsanwaltschaft Linz, dass die örtliche Zuständigkeit der
Staatsanwaltschaften unberührt lässt, aber dem Bedürfnis der verbesserten
Ausbildung der mit diesen Sachen befassten StaatsanwältInnen Rechnung trägt,
wird dagegen von der VdStA unterstützt.
Für den Fall einer Konzentration an den im Entwurf genannten vier Standorten
werden jedenfalls zwei Punkte entschieden abgelehnt, die der bisherigen
Organisation der Staatsanwaltschaften abträglich wären:
Zum einen sieht § 28b StPO des Entwurfs die Bestimmung der Zuständigkeit
in jedem dieser Fälle durch die Oberstaatsanwaltschaft vor. Dabei wird offenbar
übersehen, dass für die Übertragung der Zuständigkeit innerhalb einer
Staatsanwaltschaft, die auch über ein „Kompetenzzentrum“ verfügt (also von einer
Abteilung für allgemeine Strafsachen in eine Wirtschaftsabteilung) die zusätzliche
Befassung der Oberstaatsanwaltschaft eine verzichtbare bürokratische Aufblähung
der Entscheidungsfindung bedeutet. Bereits heute können die LeiterInnen der
Staatsanwaltschaften (die über Wirtschaftsabteilungen verfügen) diese Entscheidung
ohne Befassung ihrer Oberstaatsanwaltschaften vornehmen, ohne dass dies je
problematisiert worden wäre. In diesen Fällen sollten somit die LeiterInnen der
erstinstanzlichen Staatsanwaltschaften, die auch ein „Wirtschaftskompetenzzentrum“
haben, eigenständig entscheiden können.
Zum anderen ist die Festlegung der systemisierten Planstellen nach § 3a Abs
3 StAG des Entwurfs für einen Zeitraum von drei (Entwurf) bzw. fünf (Bemerkungen)
Jahren dem Ziel einer effizienteren Bekämpfung der schweren Wirtschaftskriminalität
diametral entgegengesetzt. Auf diese Weise kann einem plötzlichen Anstieg
(mehrere Großverfahren infolge einer Wirtschaftskrise) aber auch einer Senkung der
Arbeitsbelastung dieser Spezialabteilungen nur mit erheblicher Verzögerung
begegnet werden.
Im Übrigen wird darauf hingewiesen, dass der vorliegende Entwurf die
außerordentliche Belastung der mit Wirtschaftsstrafsachen befassten
StaatsanwältInnen und der daraus resultierenden Fluktuation etwa bei der bereits
bestehenden Wirtschaftsgruppe der Staatsanwaltschaft Wien in keinem Punkt
anspricht. Um einen längeren Verbleib der spezialisierten StaatsanwältInnen in
diesen Abteilungen abzusichern, müssen zusätzliche Anreize eingeführt werden.
Gerade manche der mit clamorosen Großverfahren befassten KollegInnen wurden in
der Vergangenheit erfolgreich für besser dotierte oder angesehene Posten
abgeworben, während andere aufgrund der hohen Belastung eine Bewerbung zu
Gericht vorzogen.
Die im Entwurf angesprochenen Experten werden ausdrücklich begrüßt. Die
Beiziehung dieser Experten kann nach den bisherigen Erfahrungen die Kosten
solcher Strafverfahren drastisch reduzieren, da die Arbeit der (dennoch zumeist
unverzichtbaren Sachverständigen) auf einen kleineren Teil beschränkt werden
kann. Der Entwurf bleibt aber eine kostensparende und äußerst wünschenswerte,
zusätzliche Unterstützung schuldig: In allen Großverfahren (egal ob in
Wirtschaftsverfahren oder bei anderen Delikten, etwa in der Organistierten
Kriminalität) verbringen die Österreichischen StaatsanwältInnen (wie auch die
RichterInnen) einen erheblichen Teil ihrer Arbeitszeit mit Arbeiten, die auch durch
weniger qualifiziertes Personal erledigt werden könnten. Die VdStA fordert daher seit
längerem die Schaffung von staatsanwaltschaftlichen AssisstentInnen, die (gerade in
Großverfahren) eine spürbare Erleichterung des Arbeitsalltags der mit solchen Fällen
befassten StaatsanwältInnen und damit eine wesentliche Beschleunigung der für die
Öffentlichkeit bedeutsamen Strafverfahren bewirken könnte. Dafür wäre als
Alternative zur Ausweitung des Stellenplans die Änderung des
Justizbetreuungsagenturgesetzes in diesem Punkt zu überlegen.
3. Zur Transparenz:
Die Notwendigkeit der Steigerung der Transparenz staatsanwaltschaftlicher
Tätigkeit wird von der VdStA vollinhaltlich anerkannt, die mit § 35 Abs 5 StAG des
Entwurfs vorgeschlagene Lösung jedoch entschieden abgelehnt: Da das
staatsanwaltschaftliche Tagebuch (abgesehen von den wenigen Ausnahmefällen des
§ 35 Abs 1 bis 3 StAG) ausschließlich als interner Arbeitsbehelf konzipiert ist, werden
Einstellungsbegründungen so formuliert, dass sie für einen Insider einen raschen
Überblick über die wesentlichen Gründe bieten. Diese zeitsparende Arbeitsweise
bewirkt aber, dass ein Außenstehender (etwa ein Opfer) diese Begründungen häufig
mißverstehen würde. Die ausführliche Formulierung der Einstellungsbegründung in
einer für jedermann leicht verständlichen Art und Weise wäre bei weitem
zeitaufwändiger. Wenn die erläuternden Bemerkungen davon sprechen, dass ein
nennenswerter Mehraufwand nicht gegeben sei, da die ohnehin vorhandenen
Überlegungen „nur“ zu formulieren seien, geht dies vollkommen an der Realität
vorbei. Auch wenn die staatsanwaltschaftliche Arbeit schwer mit anderen Berufen
vergleichbar ist, sei dies an folgendem Beispiel demonstriert: Der Überstellungsbrief
eines Arztes an einen Kollegen enthält sinnvollerweise verkürzt alle relevanten
Informationen, wird aber für den Patienten überwiegend unverständlich bleiben. Wir
gehen davon aus, dass die für jedermann verständliche Ausformulierung schon im
einfachsten Fall (ein Beschuldigter, ein Opfer, ein Delikt) einen erheblichen
Mehraufwand bedeuten würde. Von den rund 40.000 Fällen einer
Verfahrenseinstellung bei Delikten, die in die Zuständigkeit der Landesgerichte fallen,
machen diese nur einen Teil aus. In vielen Fällen werden mehrere Entscheidungen
(Anklage; weitere, teils sensible Ermittlungsschritte; Diversion) mit einer Einstellung
in einer Begründung zusammengefasst. In anderen Fällen wird in der Praxis auf
bereits ältere Eintragungen im Tagebuch verwiesen. So kann man dem Opfer eines
eingestellten Delikts, dass im selben Verfahren auch Beschuldigter ist, kaum die
relevanten Teile des Tagebuches zeigen. Die erläuternden Bemerkungen
verschweigen überdies, wie die „Rationalisierungen der Arbeitsabläufe“ aussehen
sollen, die den angeblich geringen Mehraufwand abfedern könnten. Eine von der
VdStA vorgeschlagene Rationalisierung im gegebenen Zusammenhang ist, die
aufwändige Formulierung von Begründungen nur in jenen Fällen vorzunehmen, in
denen sie vom Opfer überhaupt, und im Nachhinein gewünscht wird. Bereits § 48a
StPO aF sah vor, dass auf Verlangen die wesentlichen Gründe („in gedrängt
darzulegenden Erwägungen“) bekannt zu geben wären. Wir schlagen daher anstelle
des Entwurfs zu diesem Punkt vor, dass eine ausführliche Begründung der
Einstellung eines Verfahrens nur auf Verlangen der Berechtigten formuliert und
ausgehändigt werden soll. Andernfalls werden alle Bestrebungen der letzten Jahre
(Einsparungen durch das Budgetbegleitgesetz; Planstellenvermehrung zu
Abdeckung des nötigen Bedarfs, insbesondere zur besseren Verfolgung von großen
Wirtschaftsstrafsachen) mit einem Federstrich hinfällig.
Die vorgeschlagene Bestimmung des § 35a StAG geht in die richtige
Richtung, bleibt aber auf halbem Wege stecken. Warum Entscheidungen in Fällen,
die besonderes öffentliches Interesse ausgelöst haben, anonymisiert veröffentlicht
werden sollen, ist nicht nachvollziehbar. In den meisten dieser Fälle der letzten
Jahre, waren die Beschuldigten solche Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens für
die der Schutz des § 7a MedienG nicht gilt. Es wäre nachgerade lächerlich, die
Einstellung eines Verfahrens gegen eine solche Person nach einem in den Medien
weitläufig diskutiertem Ermittlungsverfahren anonymisiert zu veröffentlichen. In
diesen – seltenen – Fällen sollte zumindest überlegt werden, ob auch die
Veröffentlichung von Aktenbestandteilen (die dem Beschuldigten unbenommen ist) in
Ausnahmefällen durch die Staatsanwaltschaft erfolgen sollte.
4. Zur Ausweitung der Kompetenzen des Rechtsschutzbeauftragten und der
Generalprokuratur:
Die Intentionen des Entwurfs werden in diesem Punkt vollinhaltlich unterstützt,
jedoch wird auch hier nicht ausreichend auf die Mehrbelastung eingegangen. So
arbeitet die Generalprokuratur (wie die meisten Staatsanwaltschaften) seit Jahren
weit über ihren personellen Kapazitäten. Die erst vor kurzem von der
Bundesregierung zugesagte, geringfügige Aufstockung des Personals der
Generalprokuratur (zur Milderung der bestehenden Überlastung) würde alleine durch
diese Maßnahme aufgefressen werden.