Wolfgang Swoboda Preis 2017

Laudatio

zur Verleihung des Wolfgang Swoboda Preises für Menschlichkeit im Strafverfahren 2017 an
SC i.R. Prof. Dr. Roland MIKLAU

„Ein wesentlicher Charakterzug (…) ist seine Gesprächsbereitschaft, zu der seine Aufgeschlossenheit, seine Fähigkeit, aufmerksam zuzuhören, und seine ruhige und gelassene Art gehören. Er geht möglichst auf seinen Gesprächspartner ein. Wenn er anderer Ansicht ist, hebt er meistens zunächst hervor, wie weit er ihm zustimmen kann und entwickelt dann nach dem Prinzip ‘ja, aber‘ seine Gegenmeinung. Er bindet den anderen ein und schreckt ihn nicht ab. Apodiktische Schulmeisterei oder Besserwisserei sind ihm fremd. (…) Indes bedeuten seine Gesprächsoffenheit, Belehrbarkeit und Liebenswürdigkeit nicht, dass er sich selbst auf dauernder Suche nach Lösungen befände. Vielmehr ist damit zu rechnen, dass seine Positionen bereits reiflich überlegt sind und er vielmehr dem anderen etwas zu geben hat. In Dingen, die ihm wesentlich sind, geht er von seiner Überzeugung nicht so leicht ab.“
Eine solche Beschreibung ehrt den Beschriebenen. Sie ehrt aber auch den Beschreibenden und seine Fähigkeit, das Wesentliche – das, wie Antoine de Saint-Exupéry bemerkt, für die Augen unsichtbar ist – zu erkennen, respektvoll anzuerkennen und in treffende Worte zu fassen. Dass aber ein Swoboda-Preisträger, nämlich Prof. MOOS, einen anderen, nämlich Roland MIKLAU, so beschreibt, spricht schließlich auch für den Preis, den wir heute zum vierten Mal vergeben.
Roland MIKLAU wurde am 19. Dezember 1941 in Wien geboren. Es mag weit hergeholt erscheinen, seine sprichwörtliche Energie dem Beruf des Vaters, seines Zeichens Diplomingenieur für Elektrotechnik beim Waggon- und Maschinenbauunternehmen Simmering-Graz-Pauker AG, zuzuschreiben. Dass aber sein ausgeprägter Sinn für Harmonie, seine Fähigkeit, diese Energie nicht unbändig und zerstörerisch, sondern konstruktiv dafür einzusetzen, aus unterschiedlichen, jeweils vernünftigen, aber oft gegenläufigen Interessenslagen entspringenden Ideen ein concerto im eigentlichen Wortsinn des „Zusammenstreitens“ zu entwickeln, auch auf die Mutter, die Klavierlehrerin, zurückgeht, halte ich durchaus für wahrscheinlich. Der Lehrplan des humanistischen Gymnasiums im 19. Wiener Gemeindebezirk, an dem Roland MIKLAU 1959 – gemeinsam mit dem späteren Chef der Strafvollzugssektion im Bundesministerium für Justiz Michael NEIDER und mit Erhard BUSEK, später Mitglied der Bundesregierung und 1991 bis 1995 Vizekanzler – maturierte, mag zur Offenheit und zur Tiefgründigkeit seines Denkens beigetragen haben.
Erhard BUSEK ist auch Herausgeber des 2010 erschienen Sammelbandes „Was haben wir falsch gemacht? Eine Generation nimmt Stellung“ in dem Roland MIKLAU den Beitrag „Rechtspolitik jenseits des Abgrunds“ verfasste.
Wenngleich Österreich – so Roland MIKLAU – in der Zweiten Republik, einer langen Periode friedlichen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Aufstiegs, einen bemerkenswerten Erfolgsweg zurückgelegt hat, von dem vorangegangene Generationen kaum zu träumen gewagt hätten, habe man doch „den Eindruck, dass so manche historische Restbestände aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und davor unter der glänzenden Oberfläche den Wechsel der Generationen überdauert haben.“ Das – so Roland MIKLAU – gelte „immer noch für einige psychische Phantomschmerzen eines 1918 radikal verkleinerten Landes, das gedanklich seiner einstigen Größe nachtrauert – ohne aber die gerade auch mit dieser seiner Geschichte im Zusammenhang stehenden vielfältigen Chancen in den Nachfolgestaaten und auf dem Balkan voll (…) auszuschöpfen.“ Noch viel mehr gelte es aber für die schmerzhaften politischen Konflikte der Ersten Republik und des Dritten Reichs. Das zeigte sich auch in der Bereitschaft zur Strafverfolgung der Mitverantwortlichen an unvorstellbaren Gewalt- und Vernichtungsverbrechen des Nazi-Regimes. Eine „Schlussstrichmentalität“, die breite Bevölkerungskreise erfasst hatte, führte zu spektakulären Freisprüchen durch Geschworenengerichte, sodass man Mitte der Siebzigerjahre schon vor Anklageerhebungen zurückscheute, weil man nichtöffentliche Verfahrenseinstellungen für weniger schädlich hielt als spektakulär scheiternde Anklagen nach öffentlichen Beweisverfahren.
Ängstlichkeit gegenüber Neuem und vor dem Verlust von Bestehendem erlebte Roland MIKLAU auch bei fälligen Teilreformen im österreichischen Strafrecht. Die Reformdiskussion verlief oft zäh und langwierig; „das Beharrungsvermögen der Praxis, mancher Lobbys und profilierungsbedürftiger Politiker und Experten verzögerte oder verwässerte Reformanliegen.“
Diese Situation fand Roland MIKLAU vor, als er – nach Absolvierung des Studiums der Rechtswissenschaften an der Universität Wien und Promotion 1963 (mit 21 Jahren !), Absolvierung des richterlichen Vorbereitungsdienstes und Ernennung zum Richter im Jänner 1970 – seinen Dienst in der Straflegislativabteilung des Bundesministeriums für Justiz antrat. Ein Fulbright-Postgraduate-Stipendium hatte er nicht nur dazu genutzt, an der University of Kansas sein juristisches Wissen zu vertiefen. Mit selbst verdientem Geld kaufte er sich ein Auto und bereiste damit 37 der 50 Bundesstaaten. Das bot ihm Gelegenheit, den damals in den Vereinigten Staaten von einer neuen, einer kritischen Generation initiierten gesellschaftlichen Umbruch unmittelbar zu beobachten und bewusst zu erleben. The times, they were a-changin`.
In Österreich allerdings zeitversetzt und abgemildert. 1970 herrschte hier ein veraltetes, verzopftes und vielfach moralisierendes Strafrecht, dessen Reformbedürftigkeit schon Ende des 19. Jahrhunderts erkannt worden war. Julius VARGHA hatte sein Hauptwerk „Die Abschaffung der Strafknechtschaft“ bereits 1897 mit dem Untertitel „Studien zur Strafrechtsreform“ versehen. Mit dem Strafprozessrecht verhielt es sich nicht viel besser. Was die praktische Anwendung anlangt, herrschte wohl nicht nur auf den Universitäten sondern auch bei den Strafgerichten und Staatsanwaltschaften allzu oft „unter den Talaren der Muff von 1000 Jahren“.
„Das Strafgesetz soll vernünftig sein. Wir wollen alle Erkenntnisse ausschöpfen, die uns der Stand der wissenschaftlichen Forschung unserer Zeit an die Hand gibt.
Das Strafgesetz soll menschlich sein, weil Menschlichkeit unteilbar ist.
Unser Strafgesetz soll wirksam sein, weil wir fest daran glauben, dass nur das wirksam ist, was vernünftig und menschlich ist.“
So fasste Christian BRODA den Beitrag zusammen, den Menschen zur Bewältigung der vielen und schwierigen Probleme der Menschen zueinander, so wie sie sich auch im Strafrechtsbereich widerspiegeln, und der Beziehungen zwischen Mensch und Gesellschaft leisten können.
Die ersten Jahre von Roland MIKLAU als Legist waren also geprägt, von der großen österreichischen Strafrechtsreform, die nach jahrzehntelangen Bemühungen mit dem Inkrafttreten des StGB am 1. 1. 1975 ihren vorläufigen Abschluss fand.
Vorläufig, weil die legislative Arbeit – so Christian BRODA weiter – gefordert ist, „immer von neuem nachzudenken über den eigenen Standort und den eigenen Standpunkt, sich kritisch über die Berechtigung dieses Standpunktes zu prüfen.“
Dieser Herausforderung zeigte sich Roland MIKLAU in mehr als 35 Jahren als „Gesetzesformulierer auf der Suche nach Klarheit, Sicherheit und materieller Gerechtigkeit“ stets gewachsen.
„Die Praktiker der Justiz haben mit Änderungen des Gesetzgebers, nicht immer die größte Freude, das ist klar, weil Prozessrecht ja vor allem Handwerkszeug für die in der Justiz Tätigen ist“, erkannte Roland MIKLAU rückblickend in seinem Beitrag zur Festschrift anlässlich des 40-jährigen Bestehens der Burgenländischen Straffälligenhilfe. „Dort stoßen materiellrechtliche Änderungen (…) viel eher auf Akzeptanz als Änderungen der Verfahrensweisen (…). Da haben wir in der Straflegislative öfter stärkeren Gegenwind gespürt, der allerdings nach Inkrafttreten der Reformen meistens rasch abgeebbt ist.“
Das formelle Strafrecht dient nicht nur der Definition des Rechtsweges, sondern auch und vor allem als Gradmesser, wie es ein Staat wirklich mit verfassungsmäßig verbrieften Grundrechten hält. Die Modernisierung der in ihrem Kern aus der Mitte des 19. Jahrhunderts stammenden Strafprozessordnung war daher die Aufgabe, der sich die Legistik nach der Neudefinition des materiellen gesellschaftlichen Wertekataloges, der Abkehr vom Vergeltungsprinzip und dem Umbau des Sanktionensystems widmen musste. Am deutlichsten zeigte sich der Reformbedarf im Vorverfahren, das „mit dem Untersuchungsrichter als zentralem Ermittler längst weit hinter der kriminalpolizeilich – -staatsanwaltschaftlichen Realität zurückgeblieben war.“
Zwar enthielt § 380 Abs 2 StPO noch im 21. Jahrhundert die Verpflichtung der Gemeinden, den nötigen Vorspann beizuschaffen, wenn Beschuldigte zu Wagen befördert wurden; Regelungen über Befugnisse der Kriminalpolizei, die längst das Vorverfahren faktisch dominierte, und ein wirksames Rechtsschutzsystem, suchte man in der Strafprozessordnung hingegen vergeblich. Der Untersuchungsrichter hielt den Schild der richterlichen Unabhängigkeit über ein Verfahren, auf das er oft kaum Einfluss nehmen konnte. Damit war der Schein rechtsstaatlichen Handelns gewahrt.
Von Oktober 1974 bis Oktober 1983 tagte unter dem Vorsitz des Sektionschefs und späteren Justizministers Egmont FOREGGER monatlich der „Arbeitskreis für Grundsatzfragen einer Erneuerung des Strafverfahrensrechtes“ für den Roland MIKLAU als Referatsleiter für die Strafprozessreform die unmittelbare Verantwortung trug. 1987 wurde er mit der Leitung der Straflegislativsektion betraut und 1991 zum Sektionschef ernannt.
Modelle eines neuen Ermittlungsverfahrens, das sowohl einen Gewinn an Rechtsstaatlichkeit als auch eine Steigerung der Effektivität der Strafverfolgung bringen sollte, wurden erarbeitet, überdacht und verworfen. So etwa das „Miklau-Szymanski-Modell“ (1988/89), das ein an die alte General- und Spezialinquisition angelehntes, zweigliedriges Verfahren vorsah. Das Modell brachte dogmatisch klare Abgrenzungen der Zuständigkeiten der Strafverfolgungsbehörden und verdeutlichte die verfassungsrechtlichen Probleme der Nahtstelle zwischen Justiz und Verwaltungsrecht. Es erwies sich aber als kompliziert und wurde mit der 1995 den Mitgliedern des Justizausschusses vorgelegten Punktation zugunsten eines einheitlichen justiziellen Modells unter der rechtlichen Gesamtverantwortung der Staatsanwaltschaft aufgegeben. Dass Roland MIKLAU nicht an einem Modell festhielt, das in wesentlichen Bereichen von ihm erdacht worden war, sondern bereit war, seine Gedanken zu hinterfragen und weiterzuentwickeln, und auf diese Weise aus Gutem Besseres zu machen, spricht für seine intellektuelle und menschliche Größe.
Zu dem auf der Punktation aufbauenden und einem hervorragenden Redaktionsteam formulierten Diskussionsentwurf 1998 bekannten sich schließlich – trotz Detailkritik – Lehre und Praxis. 2004 wurde mit dem Strafprozessreformgesetz – wie es Wolfgang SWOBODA in einem Editorial der Richterzeitung ausdrückte – „die größte bisher dagewesene Strukturreform im Bereich des Strafrechtes“ beschlossen.
Eine Strukturreform, die das Ermittlungsverfahren in Österreich auf die rechtsstaatlichen Standards des 21. Jahrhunderts erhob, derer das Haupt- und das Rechtsmittelverfahren noch bedürfen.
Freilich ging die Wirkung des Strafprozessreformgesetzes 2004 über das eigentliche Ermittlungsverfahren hinaus. Wesentliches Reformziel war es etwa auch, die Stellung der Opfer im Strafverfahren, die bisher auf ihre Zeugenfunktion und die Möglichkeit der Geltendmachung materiellen Schadens als Privatbeteiligte beschränkt waren, aufzuwerten. Die Position Roland MIKLAUS ist hier vernünftig: Den Opfern soll im Strafverfahren Information, Schutz und Begleitung zukommen, ohne sie jedoch in die Anklägerrolle zu drängen und damit zu überfordern.
Eine wesentliche Rolle kommt den Opfern auch im zweiten Jahrhundertwerk zu, das unter der legistischen Gesamtverantwortung Roland MIKLAUS entstand. In den am 1. 1. 2000 auch für das Erwachsenenstrafrecht in Kraft getretenen Vorschriften über die Diversion, spiegelt sich der Gedanke der restorative justice wider und noch vor dem Strafprozessreformgesetz 2004 die neue Rolle der Staatsanwaltschaft als Trägerin eines „wirklich menschengerechten Kriminalrechtes (das nicht mehr nur Strafrecht sein kann)“.
Der Versuch, alle Verdienste Roland MIKLAUS aufzuzählen, muss angesichts ihrer Fülle scheitern. Sein Bemühen um einen sinnvollen Strafvollzug und ein vernünftiges Heranwachsendenstrafrecht verdienen es aber, wenigstens hier erwähnt zu werden.
Seine Pensionierung bedeutete für Roland MIKLAU keineswegs den Übertritt in den Ruhestand. Von 2007 bis 2010 leitete er die „EU Mission zur Unterstützung der Justiz Albaniens (EURALIUS)“.
Sein internationales Engagement ist beachtlich. Anlässlich der Verleihung der Beccaria Medaille in Gold am 21. 9. 2007 erkannte Heinz SCHÖCH in Roland MIKLAU „einen der bedeutendsten Kriminalpolitiker und Gesetzesgestalter unserer Zeit in Europa ([…], der sich schon) in den 70er und 80er Jahren im Europarat und in der UNO im Kampf gegen Todesstrafe und Folter engagierte.“
Nach dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union war Roland MIKLAU Vertreter Österreichs in Ratsarbeitsgruppen und Vorsitzender der Arbeitsgruppe Organisierte Kriminalität (1998) sowie des Art 36-Ausschusses Justiz und Inneres. Bis 2008 leitete er die Österreichische Delegation im Europäischen Leitungskomitee für Kriminalitätsprobleme des Europarates (CDPC), dessen Vizepräsident er 2009 wurde.
Im Mai 2010 wurde Roland MIKLAU Präsident der Österreichischen Juristenkommission, deren Ehrenpräsident er heute ist. Darüber hinaus engagierte und engagiert er sich im Menschenrechtsbeirat des Bundesministeriums für Inneres, im Vorstand der Landesgruppe Österreich der Internationalen Strafrechtsgesellschaft (AIDP), als Vorsitzender des Aufsichtsrates des Vereins „NEUSTART“ und als Mitherausgeber des Journals für Rechtspolitik. Seine Publikationsliste umfasst rund 100 Veröffentlichungen.
„Es ist besser, den Verbrechen vorzubeugen, als sie zu bestrafen“, meinte Cesare Beccaria. „Dies ist der Hauptzweck jeder guten Gesetzgebung, die in der Kunst besteht, die Menschen zum höchsten Glück und zum geringsten Unglück zu führen, und sozusagen alles Gute und Böse dieses Lebens zu berechnen. Die dabei angewandten Mittel sind aber meist falsch und dem beabsichtigten Ziele gerade entgegengesetzt.“
Dass wir heute einige Schritte weiter sind, ist zu einem guten Teil das Verdienst von Roland MIKLAU.

Thomas Mühlbacher

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